Titel: Wer würdigt wie, wen, warum oder warum nicht?
Untertitel: Von den Schwierigkeiten der Würdigung von Personen in antiautoritären Gruppen
AutorIn: Mona Alona
Datum: 01.11.16

Die folgenden Überlegungen stellen einige nicht abgeschlossenen Gedankengänge dar, die sich aus verschiedenen intensiven und längerfristigen, leider oft unzureichenden bzw. unreflektierten Gruppenprozessen ergeben haben. Sie sind nur eine einzelne Ansicht, können nicht zu generellen Aussagen führen und sind in diesem Sinne als Anstoß zu betrachten. Angeknüpft wird lose an den Text „Grundprobleme von antiautoritären Gruppen in der individualistischen Gesellschaft: Das Bockhaben und die Vermeidung von Vereinbarungen“ (Gaidao #64)


Die Würde des Menschen und ihre Funktion zur Legitimierung von Herrschaft

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, lautet der erste Artikel im sogenannten Grundgesetz der freiheitlichsten, demokratischesten Grundordnung, die es jemals auf der Welt gab. Das ist natürlich ziemlich fragwürdig, denn wenn ein Gedanke von Menschenwürde sinnvoll begründet werden könnte, so ließe er sich dennoch wohl gerade nicht gesetzlich verbriefen. Die Idee beruht darauf, dass der sich sich als legitim betrachtende Rechtsstaat, die Würde der ihm Unterworfenen gewährleisten könnte – und unter anderem aus diesem humanistischen Anspruch eben seine Legitimation zieht. Dies muss differenziert gesehen werden: Selbstverständlich gewähren Herrschaften bestimmten Menschengruppen Schutz, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse oder sogar Bürger*innenrechte. In diesem Zusammenhang waren beispielsweise die Emanzipation der Jüd*innen und Frauen wichtige Schritte um im liberal-demokratischen Rahmen staatlich anerkannt und somit durch Anfeindungen geschützt zu werden. In diesem Rahmen sind es Menschen aus Syrien, die heute den Schutz des deutschen Rechtsstaats genießen sollen – wodurch sie als Menschen Würdigung erfahren.

Die Kehrseite dieser Gewährleistung ist jedoch, dass sie niemals uneigennützig geschehen kann. Wie gesagt, zieht der demokratische Staat zunächst grundsätzlich seine Legitimität aus der formellen Gleichbehandlung von Menschen. Und Menschen dem Wesen nach als gleich zu anzusehen und zu behandeln ist eben der Kern ihrer Würde.[1] Darum werden Kämpfe um Anerkennung geführt, denn die Frage ist ja nicht nur: Bürger*in oder nicht, sondern zu welchem Grad gelten welche Bevölkerungsgruppen als Teil der Gesellschaft? Das heißt wer zu welchem Grad eine Gleichbehandlung verdient ist in der staatlich strukturierten Gesellschaft, die gleichzeitig kapitalistisch ist, also auf Konkurrenz und somit struktureller Ungleichheit beruht, eine Frage politischer Auseinandersetzung.


Würde als eine Frage politischer Auseinandersetzung

Wenn staatliche Instanzen es sind, die Anerkennung und Würde gewährleisten, verlangt dies die Appellation an diese, darum also wiederum deren Anerkennung und Legitimierung und somit schließt sich der Kreis. Leider geht die liberale Vorstellung, auf dieser Grundlage könne Würdigung dann im freien und vernünftigen Diskurs verhandelt werden, in der Wirklichkeit kein Stück auf. Immer kommen Menschen zu kurz und leben unter menschenunwürdigen Bedingungen.[2] Die Gesellschaft in der wir leben wollen, sollen, müssen bringt diese Ungleichheiten in mehreren miteinander eng verknüpften Dimensionen hervor: Die Zugänge zur politischen Macht sind äußert ungleich, ebenso die Möglichkeiten Profit zu erwirtschaften oder sich weniger ausbeuten zu lassen. Leute können sozialstaatliche Kompensationen sehr unterschiedlich abgreifen und Infrastrukturen nutzen oder haben sehr ungleiche Chancen, eine kulturelle Bedeutung zu erlangen. Nicht weniger betrifft dies aber auch jene grundsätzliche Frage nach der Würdigung von Menschen(-gruppen). Und diese ist nichts, was noch irgendwie etwa zur Forderung nach einem „fairen Lohn“ dazu kommt, sondern hängt unmittelbar damit zusammen. Nicht ohne Grund, war Würde auch eines der Schlagworte im Aufstand der Zapatistas und davon inspiriert vieler globalisierungskritischer Bewegungen.

Wenn Würde von Menschen staatlich gewährleistet werden muss und somit eine Frage politischer Auseinandersetzung darstellt, ist sie offenbar nicht so universell, wie behauptet wird. Wenn sie gewährt wird und nicht „gelebt“ wird, bedeutet dies umgekehrt, dass zur Konstruktion würdiger Menschen, jene dienen müssen, die es nicht wert sind, gleich geachtet und behandelt zu werden. Die Würdigung der Jüd*innen hängt somit vom politischen Klima ab, an dem sich auch die staatliche Politik ausrichtet. Ausländer, die anerkannt werden, werden es zum Teil aus verankerten humanistischen Gründen, zum großenTeil aber auch schlicht aufgrund der ökonomischen Notwendigkeit, sich ein Reservoir an billiger Arbeitskraft zu erhalten. Jene, die brutal abgeschoben werden, können und sollen also nicht gewürdigt werden, da die Würde offensichtlich begrenzt ist und „wir“ schließlich nicht das „Weltsozialamt“ seien[3]. Dem ersten Grundgesetzartikel scheint das nur wenig zu widersprechen und insofern braucht er uns in diesem Kontext nicht weiter zu beschäftigen. Vielmehr können wir uns auch hier beispielsweise von den Zapatistas inspirieren lassen, von denen ausgehend John Holloway schreibt:

In der Idee der Würde steckt zunächst eine Kritik der liberalen Theorie. Im Rahmen der liberalen Theorie läßt sich die Idee der Würde nicht ernsthaft diskutieren. Sie läßt sich nicht diskutieren, weil die liberale Theorie von der Existenz des Marktes ausgeht und das Funktionieren des Marktes auf dem Gegenteil der Würde beruht, nämlich auf der aktiven und täglichen Ausbeutung, Entmenschlichung und Demütigung der Menschen, wie wir aus eigener Erfahrung wissen und wie wir es jeden Tag handgreiflich mitbekommen, wenn wir in Mexiko-Stadt an einer Ampel halten. Im Rahmen der liberalen Theorie, d.h. im Rahmen der Akzeptanz des Marktes, von der Würde zu sprechen, ist Unsinn. Aus genau demselben Grund steckt in der Idee der Würde eine Kritik am Staat und an der staatsorientierten Theorie.“[4]


Würdigung in hierarchischen und gleichberechtigten Beziehungen

Mit diesen Gedanken will ich nun zu einer etwas anders gelagerten Thematik kommen, nämlich den Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn Menschen in antiautoritären Gruppen Würdigung erfahren sollen. Der Begriff der „Würde“ scheint hier zunächst einmal gar nicht angebracht zu sein, weckt er doch für Antiautoritäre unangenehme Assoziationen wie seine verschieden gelagerten Synonyme „Ehre“, „Stolz“, „Auszeichnung“ und „Haltung“ zum Ausdruck bringen[5]. Hierin steckt schon die ganze Spießigkeit, der Rahmen hierarchischer Ordnungen, welche Würden verleihen, einschließlich dem ganzen feierlich-ernsten Brimborium drumherum, wenn wir an öffentliche Ehrungen und so weiter denken. Einfach zum lachen erscheinen uns Segnungen des Papstes, symbolische Militärparaden, salbungsvolle Reden des Bundespräsidenten oder auch die romantische Szene in einem Liebesfilm, in welcher die*der Geliebte hoffnungslos idealisiert wird. Bitter wird unser Lachen oder bleibt uns gar im Hals stecken, wenn wir wissen und merken, dass es in diesen Momenten der Würdigung um die Aufrechterhaltung einer oftmals streng hierarchischen Beziehung geht, ähnlich wie sie für den Staat angedeutet wurde. Die symbolische Herrschaft kann durch ein massives kollektives Gelächter entlarvt werden, wozu Satire dient, die oft kritisch ist, selten aber die Grundlagen der Herrschaft in Frage stellt. Auch wenn ich persönlich im poetischen Sinne hoffe, das es „ein Lachen sein wird, was sie beerdigt“[6], weiß ich leider doch auch, dass Lachen allein nie ausreichen wird und dafür in anderen Zeiten auch schon mal Köpfe rollen mussten.

In diesem Zusammenhang benutze ich den Begriff der „Würdigung“, die wir uns gegenseitig zukommen lassen oder auch nicht. Er soll als eine bewusste selbstkritische Provokation und Infragestellung dienen. Denn ziemlich anders sieht es aus, wenn für „Würde“ Synonyme wie „Selbstachtung“, „Wertschätzung“, „Ausgeglichenheit“ oder die bereits genannte „Anerkennung“ gefunden werden. Dies sind hoffentlich Dinge, zu denen in Gruppen mit emanzipatorischen Ansprüchen schon Diskussionen gelaufen sind und sich auch immer wieder ergeben.

Meine Ausgangsbeobachtung und die Motivation diesen Text zu schreiben ist dabei die Vermutung, dass sehr viele Menschen, welche antiautoritäre Organisierungsformen verlassen, dies zumindest auch tun, weil sie sich darin nicht gewürdigt fühlen. Selbstkritisch und aus eigenen Erfahrungen in verschiedenen Gruppen behaupte ich mal, dass dies ein großes strukturelles Problem darstellt und keineswegs als das Problem der einzelnen Leute gelten gelassen werden darf – womit wir übrigens die Individualisierung und Beliebigkeit der Gesamtgesellschaft einfach übertragen würden, nach dem Motto: „Die einen passen zu uns und halten es mit uns aus, die anderen eben nicht“. Eine politische Bewegung, die sich selbst ernst nimmt und einen Anspruch auf umfassende Gesellschaftsveränderung aufmacht, kann es sich nicht leisten nur mit Menschen zusammen zu arbeiten, die zu ihrem kleinen elitären Klüngel gehören. Sie kann es sich auch nicht leisten nur aus Freundeskreisen zu bestehen, wo Menschen über einen langen Zeitraum einen wertschätzenden Umgang miteinander entwickeln konnten. Ich denke das versteht sich von selbst.


Das Thema Würde als ein bedeutender Bestandteil antiautoritärer Organisierung

Wenn wir unter Würde also an dieser Stelle wertschätzende und anerkennende Umgangsformen unter gleichberechtigten Menschen verstehen und deren Entwicklung nicht einfach dem Zufall überlassen, sondern die (Gruppen-)Bedingungen dafür vernünftig und kollektiv einrichten wollen, handelt es sich dabei um eine bedeutende Frage unserer politischen Organisierung. Die Weise wie wir uns organisieren und unsere Beziehungen pflegen, ist für die einen weniger, für die anderen mehr mit einem großen Anspruch verbunden: Zumindest soweit es unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, sollen unsere Organisations- und Umgangsformen dem entsprechen, wie wir eine kommende Gesellschaft gestalten. Nur wenn unsere Vorstellungen mit unserer alltäglichen und meist ganz kleinteiligen Praxis übereinstimmen, können sie auch auf andere überzeugend wirken. Und dies gilt nun wiederum auch ganz konkret auch für die Dimension der gegenseitigen Wertschätzung.

Diese Gedanken stellen lediglich eine Zusammenfassung dessen dar, was viele emanzipatorisch gesinnte Leute diskutieren und praktizieren. Sie sind keineswegs irgendwie neuartig. Tatsächlich unterstelle ich, dass sich viele Leute in unseren Kreisen über genau diese Dinge intensiv Gedanken machen. Sehr oft tun sie es für sich allein und fragen sich beispielsweise, ob sie jemanden verletzt haben oder fühlen sich selbst nicht gebraucht. Immer wieder kommt es auch vor, dass Menschen sich zu zweit oder vielleicht auch mal zu dritt, Gedanken über eine soziale Konstellation oder Situation machen – meistens wenn irgendwelche Probleme auftreten, weil sich Hierarchien etablieren oder jemand sich wie ein Arschloch verhält. Der kleine Rahmen ermöglicht die dafür notwendige Vertrauensbasis. Nur ganz selten habe ich es allerdings erlebt, dass sich eine Gruppe gemeinsam und programmatisch (das heißt nicht erst, wenn große Probleme auftreten oder als Alibi-Emorunde), die Frage stellt, was die Bedingungen dafür sind, damit ein wertschätzender und anerkennender Umgang unter Gleichberechtigten möglich wird. Die Beweggründe für Personen, in antiautoritäre Gruppen zu gehen, sind sehr unterschiedlich und auch vielfältig in den Einzelnen. Selbst wenn Menschen ihre Würdigung hauptsächlich aus anderen Kontexten ziehen oder einfach verdammt selbstsicher sind, ist davon auszugehen, dass sie nach emotionaler und sozialer Bestätigung in einer antiautoritären Gruppe suchen, der sie sich anschließen. Und zwar einfach aus dem Grund, weil es uns als soziale Wesen auszeichnet, dass wir von anderen Wertschätzung, Anerkennung usw. brauchen und uns als Gleichberechtigte fühlen wollen. Würden Menschen dies nur in anderen Beziehungen außerhalb der politischen Gruppe finden, hieße es, sie spalten Politik als gesonderten Teil ihres Lebens ab – was meiner Ansicht nach als grundsätzlich problematisch zu betrachten ist.


Besondere Schwierigkeiten, die sich in antiautoritären Gruppen ergeben

In diesem Zusammenhang ist es überhaupt kein Problem, wenn Menschen „ihren“ Platz in einer Gruppe suchen, sondern scheint mir eher eine schlichte Tatsache zu sein. Gerade darin äußert sich ja der Wunsch, in ihrer speziellen Art gelten gelassen werden und sich sinnvoll zu fühlen. Dabei ergibt sich ein sehr grundsätzliches Problem bei den Gruppen, an die ich denke: Ihre Struktur ist diffus, ihre Zusammensetzung verändert sich bzw. schwankt oft, ihre Zielsetzung ist nicht annähernd klar bestimmt und bestehende faktische Hierarchien werden nicht thematisiert (denn sie sind ja hierarchiefrei), ebenso selten „persönliche“ Konflikte zwischen einzelnen Beteiligten (auch wenn sie zum Teil das Klima der Gruppe erheblich beeinflussen). Wie das in deiner/deinen Gruppe(n) aussieht, wenn du (noch) in einer bist, ist natürlich eine Frage der Selbsteinschätzung. Prinzipiell glaube ich aber, dass derartige Überlegungen auch für kontinuierlich arbeitende und klarerer strukturierte Gruppen eine Rolle spielen, bei denen die an ihnen Beteiligten hoch reflektiert sind und einen bewussten Umgang miteinander pflegen. Umgekehrt hatten in diesem Fall ihre Kontinuität, Struktur und ein bewusster Umgang miteinander zur Voraussetzung, dass sie derartige Denkprozesse angestellt und auch gewisse Konsequenzen daraus gezogen haben. Wahrscheinlich klingt es etwas sozialarbeitermäßig, aber vielleicht lohnt es sich, wenn Menschen sich in Gruppen immer wieder mal ganz offen gemeinsam die Frage stellen, welche Platz sie darin jeweils einnehmen, ob sie damit zufrieden sind, ob sie sich in ihrer jeweiligen Art wertgeschätzt fühlen und in ihren Tätigkeiten anerkannt werden...

Insofern die antiautoritäre Gruppe jedoch dem Anspruch nach keine Chef*innen hat, stellt sich die Frage, wer wem und auf welche Weise Würdigung zukommen lassen kann. Wenig ist unerträglicher, als jene linken Lackaffen, die sich selbst in der Position fühlen, anderen für ihre Tätigkeit Dank auszusprechen. Entweder tun sie es öffentlich, um vor anderen ihre Position klar zu machen, weil sie für alle sprechen dürfen oder insgeheim, zwischen Tür und Angel, – dann aber in der Form der verzweckten, klüngelhaften Beziehungspflege, um jemanden auf die eigene Seite zu ziehen, falls sich mal wieder verschiedene Lager bilden sollten. Weil das von vielen Antiautoritären zurecht als scheiße empfunden wird, ergibt sich aber umgekehrt der Effekt, dass niemand sich traut, seine ganz ehrlich gemeinte Wertschätzung, Anerkennung und so weiter zum Ausdruck zu bringen und jemanden zu würdigen. Es gilt nicht als chic das zu tun, weil es doch eigentlich um die (idealistische) Sache gehen soll und nicht um die Personen als Einzelne – eine fatale Ansicht, nach der schon in manchem politischen Kampf manche Person tatsächlich entwürdigt und tiefunglücklich wurde. Die allesumfassende „Sache“, um die es angeblich gehen soll, ist riesiger bullshit, wenn es nicht im selben Zuge und im gleichen Maß genau um die Personen geht, welche sie voranbringen wollen - mit der Einsicht darin, dass sie darin persönlich vorankommen. Darum ist Politik ist eine Macht-durchzogene und bedauerliche Notwendigkeit und darum zumindest immer ein Funken Grundskepsis jenen gegenüber angebracht, denen sie richtig Spaß macht und die ihren Lebensinhalt aus ihr ziehen.

Schlussendlich denke ich, dass es viele Formen gibt, in denen wertschätzende und anerkennende Umgangsweisen eingeübt und auch praktiziert werden. Deswegen geht es an dieser Stelle nicht um deren Aufzählung oder eine Diskussion um ihre jeweilige „Brauchbarkeit“, sondern einerseits um den Hinweis auf ihre notwendige Verbindung mit den Gruppenstrukturen und deren Problemen oder – versöhnlicher – besonderen Herausforderungen. Andererseits wollte ich das Thema setzen, wie sich Menschen in Gruppen gegenseitig würdigen können, ohne dabei auf hierarchische Instanzen zurück zu greifen, damit dies nicht allein eine Frage von „besseren“ Umgangsformen oder Verhaltensweisen bleibt. Diese haben damit selbstverständlich stark zu tun. Persönlich bin ich aber der Ansicht, dass sie sich wesentlich stärker aus einer bewussten Einrichtung von Gruppenkonstellation, der Bestimmung ihrer Zielsetzung und eben auch der kontinuierlichen Reflexion über die Gruppe, die Plätze der Einzelnen darin und der strukturellen Gewährleistung ihrer Würde ergeben, als dass sie umgekehrt deren Voraussetzung seien. Anders formuliert: Ich versuche von Leuten immer weniger zu erwarten, das sie genau meine Sprache verwenden, meine Codes teilen, auf dem Stand meines Bewusstseins sind und sehr ähnliche Erfahrungen gesammelt haben. Vielmehr erwarte ich, dass wir in der Lage sind, gemeinsame Grundlagen und Ziele zu bestimmen, uns die Frage stellen, wie wir sie zusammen entwickeln und erreichen können und festzulegen, wie wir in der Gruppe miteinander umgehen wollen. Gegenseitige Wertschätzung, Anerkennung, eben die Würdigung, der jeweils besonderen Personen sind dafür eine Voraussetzung, ergeben sich aber auch gerade im Zuge dessen. Formen von Gruppenstrukturen und Weisen von Gruppenverhalten müssen im Zusammenhang gedacht werden.


[1] Es gibt allgemein die Auffassung, dass die prinzipielle Gleichheit der Menschen ein spezieller Gedanke ist, der in der jüdisch-christlichen Denktradition entstanden ist. Abgesehen davon, dass dies eine Fokussierung auf Gott verlangt und umgekehrt bedeutet, dass sich der emanzipatorische Gleichheitsbegriff der „westlichen Gesellschaften“ aus der Säkularisierung religiöser Vorstellungen ableitet, kann die behauptete Gleichheit „vor Gott“ auch gerade dazu dienen Ungleichheiten „in der Welt“ zu legitimieren. Ich gehe hier eher davon aus, dass Vorstellungen von der Gleichheit der Menschen in ganz verschiedenen Kontexten sozusagen als Nebeneffekte von Herrschaft entstanden sind und nicht als „abendländische Werte“ verbucht werden können.

[2] Während die Würdigung des Menschen durchaus damit einhergehen kann, nicht-menschliche, empfindsame Lebewesen als reine Objekte zu behandeln, denen kein würdiges Leben zustünde.

[3] Ursprünglich ein Wahlkampfspruch der NPD, welcher von der AfD kopiert wurde. Zuvor schon nutzte ihn auch Horst Seehofer: https://www.welt.de/politik/deutschland/article137642111/Horst-Seehofer-und-der-Spruch-vom-Weltsozialamt.html.

[4] John Holloway, Die Würde und die Zapatistas, Wildcat #40/41, 1997, auf: http://www.wildcat-www.de/zirkular/40/z40wuerd.htm.

[5] http://synonyme.woxikon.de/synonyme/w%C3%BCrde.php.

[6] Unterschrift auf einem lustigen anarchistischen Plakat aus Italien in den 70ern: http://www.anarchismus.at/component/phocagallery/42-anarchoplakate/detail/2232-anarchistische-plakate-41?tmpl=component&Itemid=1.