Titel: Verstreute Gedanken über Utopie, Selbstverwaltung und die Feindseligkeit gegenüber dem Bestehenden
Datum: März 1994
Quelle: Die Erstürmung des Horizonts Nr. 1
Bemerkungen: Originaltitel: "Pensieri sparsi su utopia, autogestione e inimicizia verso l'esistente", in: Ammutinamento del Pensiero. Rivista di Critica Anarchica, Nr. 3, März 1994.

Über Utopie: Zwischen Beerdigung und Verlangen

Jede Utopie ist am Ende. Die großartigen Ideale der Veränderung sind tot (durch Selbstverzehrung). So geht der Chor. Um die Unannehmlichkeiten zu überkommen, die die endlose Wiederholung dieser Beerdigung in mir verursacht, versuche ich ein paar Gedanken zu entwickeln. Wenn unter Utopie eine ideologische Konstruktion zu verstehen ist, in deren Namen die Einzelnen unterworfen werden, eine Mission in deren Angesicht die eigenen, aktuellen Leidenschaften aufgeschoben werden, das Phantom zum nachjagen für diejenigen, die jeden zwingen möchten ihren eigenen Traum zu träumen – wenn Utopie all dies ist, dann kann man nicht anders, als sich über ihr Dahinscheiden zu freuen. Die Heiligung und die Aufopferung sind das Territorium jeder Tyrannei, der magische Kreis jeder Unterdrückung. Aber, es ist klar, dass da noch etwas mehr ist.

Zunächst einmal ist es so, dass, gestützt auf diese Definition der Utopie, nicht zu erklären ist, wie sie in Hinsicht auf die bestehende Gesellschaft für etwas äußerliches und veraltetes gehalten werden kann. Die Aufopferung des Individuums ist der Dreh- und Angelpunkt der aktuellen gesellschaftlichen Verwaltung, die Entfremdung der Verlangen ist die Form in der ihre Reproduktion realisiert wird, die Gleichheit der Träume ist der Alptraum einer zunehmend realen technologischen Herrschaft. Jeden Tag wird es offensichtlicher, wie die Demokratie sich ihre eigenen Feinde – spektakulär – selber erschafft. In der Tat wird die heutige gesellschaftliche Organisation nicht auf der Grundlage ihrer Ergebnisse abgesichert, sondern eher durch eine bewährte Strategie der Notfälle und ein geschicktes Spiel mit Referenzen. Alles, was über dieses System hinaus geht, kann nichts anderes sein als Terrorismus, Delirium, Wahnsinn. Durch den ideologischen Aufruf zum Kampf gegen Phänomen, die mystifizierend als außerhalb oder marginal (Mafia, Drogen, Faschismus, etc.) präsentiert werden, organisiert man die Verteidigung des Bestehenden; abgesehen, manchmal, von ein paar notwendigen – und im wesentlichen sinnlosen – Unterscheidungen.

Auch wenn wir die Utopie als ethisch-politisches Ideal, das praktisch unrealisierbar ist, behandeln, passt sie perfekt zur Ideologie der gegenwärtigen gesellschaftlichen Organisation. Ist eine Machtausübung, die nicht dazu tendiert, sich dadurch zu reproduzieren, jeden, der sie erleidet, zu erdrücken, denn möglich? Ist eine ökologische Form der Ausbeutung möglich? Kann man außerdem, ohne mit den Waffen der Verhöhnung konfrontiert zu werden, noch mit der Neutralität der Wissenschaft hausieren gehen? Utopisch ist also die konkrete Freiheit im Innern von Staat und Kapital.

Somit ist die Utopie, mit deren Todeserklärung sich alle beeilen, weder der Schatten des Totalitarismus, noch die durchgehenden Rufe nach außergewöhnlicher Abstraktion, sondern vielmehr dieser Blick darüber hinaus, diese Gespanntheit, die – nicht aufopfernd, sondern begehrend – über den Platz der Autorität, der Ware, der Arbeit hinaus drängt [jenseits davon]. Es ist dieser Raum, in dem Unterschiede zusammen leben können ohne überwunden zu werden, wo es möglich ist gegensätzlich zu handeln, wo Gleichheit nicht Abflachung ist, sondern die Suche nach einem Schwellenwert von Affinität, in dem wir unser einzigartiges Potenzial realisieren, ist. Es ist keine neue Verwurzelung der Politik, sondern eine Subversion die die Einzelnen dorthin bringt, „wo es dem Menschen nicht mehr möglich ist Wurzeln zu schlagen, und wo, dementsprechend, keine Politik mehr sein kann, die für den Menschen wie der Rauch einer Zigarette [gemeint: schädlich] ist.“ (H. D. Thoreau).

Die Utopie wird nicht mit einem Marsch erklommen, wie es sich diejenigen dachten, die sich als auf der Seite der Geschichte [stehend] empfinden, sondern mit einem Tanz; ins Unbekannte fortgesetzter Wanderungen ohne Führer. Und vor allem gibt es da keine Garantien noch endgültige Eroberungen. Es existieren weder Rechte noch Pflichten, noch objektive Mechanismen oder Fundamente (sei es der Staat, die Gemeinschaft oder die Natur), die uns vor einem ständigen Experimentieren bewahren können. Der Unterschied, den Gedanke und Praxis der Utopie in sich tragen, ist nicht der andere Begriff einer Dialektik, die die Geschichte produziert (oder abschließt); nicht die notwendige Phase einer aufsteigenden Bewegung in der sich alle Gegensätze versöhnen. Er ist Kunstfertigkeit, permanenter Kontrast, Spiel. Die Grundlage, auf der die herrschende Ordnung steht, ist nicht der Konflikt, sondern vielmehr die Bemühung - die zu einer systematischen Konstruktion wird - Konflikte auf eine autoritäre und zwingende Art zu lösen. Anarchie – meine Anarchie natürlich – ist dementsprechend nicht die Beseitigung von Konflikten, sondern deren Radikalisierung. Die Unterschiede, die zerstört werden müssen, sagen wir die Klassenunterschiede, was sind diese anderes als die hierarchische Überschreitung der Unterschiede zwischen den Individuen? Erstere [Die Klassenunterschiede] zu verweigern, heißt Letztere [Die Unterschiede zwischen den Individuen] zu bestätigen. „Gegensätze kommen zusammen; die schönste Harmonie entsteht durch Zusammenbringen der Gegensätze” ( Heraklit ).

Steine und Flüssigkeiten

Dass die Burg der Mystifizierung und der ideologischen Entfremdung, durch die sich Autorität und Ausbeutung etabliert haben, und gelegentlich legitimierten, automatisiert wurde, ist ein Gedanke der A-kraten, Außenseitern, all denjenigen, die ohne zu regieren oder regiert zu werden leben möchten, oft kam. Man kann zum Beispiel erkennen, dass die politischen Parteien dem Medienapparat untergeordnet sind und nicht umgekehrt, ohne irgendeinen Rückgriff auf den missbrauchten – und vielleicht zum Teil inadäquaten – Begriff des Spektakels machen zu müssen. Die Sache die vielleicht übersehen worden ist, ist, dass die Kommunikationsfähigkeit selbst sich verselbstständigte. Die Sache, die Kommunikation behindert, ist die Kommunizierbarkeit selbst. Die Menschen sind getrennt durch das, was sie vereint."(G. Agamben).

Angesichts fortwährender Notfälle (Arbeitslosigkeit, Gefahr von Rechts, etc.), des weit verbreiten Opinionismus (verstanden als Ideologie der Meinung) und der Mystik des Neuen, drängt sich die Verteidigung einer kritischen Intelligenz immer mehr und mehr als Grundelement für jede Praxis der aktiven Desertion von den Mechanismen der Herrschaft auf. Allerdings versteht es sich von selbst, dass dies nicht ausreicht. Ja, das ständige Aufschieben des praktischen Aspekts im Namen einer analytischen Vertiefung (oder genealogisch, wie es unter Spezialisten gesagt wird), dabei findet man sich erneut vor Gedanken und Worten, "hart wie Stein"[1] (Nietzsche), wieder; darunter zuallererst die Illusion eines kumulativen Wissens, das jeden möglichen Fehler aus dem Gebiet der Aktion beseitigen kann. Oft präsentiert sich diese Illusion, die nicht totzukriegen ist, in neuen Kleidern. Selbst wenn einige die Absicht haben, den erkenntnistheoretischen Rahmen zu stürzen und nicht [bloss] diejenige, Daten aufzulisten und zu archivieren (die Niederlage und das Elend jeder Hypothese der Gegeninformation, die tatsächlich vor aller Augen ist), ist das Ideal der Taxonomie[2] nicht langsam darin, sich selbst voranzubringen und die Anstrengung, Wege der Befreiung [neu] zu überdenken, wird außerhalb der täglichen Praxis gestellt. Die notwendige Verbindung von Denken und Handeln zu bekräftigen, ist nicht nur eine ethische Notwendigkeit (eine Ethik, seien wir deutlich, der Begierde und nicht der Selbstaufopferung), sondern auch die Überzeugung, dass es sich um zwei Pole handelt, die sich gegenseitig nähren wie eine Flüssigkeit; das Handeln hat Werkzeuge für die Reflexion zu liefern und umgekehrt. Umso mehr da die Intelligenz sich beeilt die Vernunft darin einzuspannen, die sich immer angemaßt hat, jeden Unterschied, jeden Exzess des Körpers auszutilgen. Natürlich hat die Gewalt der Vernunft auch oft das Aussehen eines Mythos der Praxis angenommen, der viele Herzen gefesselt und bis zur Diktatur geführt hat. Nicht einmal in der Aktion kann es irgendwelche Garantien geben. Es ist wichtig, all die kritischen Punkte, die in den letzten Jahren ausgearbeitet wurden, zu beherzigen, benutzt sie, zum größten Teil, gegen die wirklichen Intentionen der Autoren.

Im Angesicht der technologischen Projekte von Staat und Kapital, die dazu bestimmt, die Werkzeuge der Sprache und des Wissen mehr und mehr zu reduzieren und zu entfremden, kann jede beliebige Plünderung auf Kosten der Kulturindustrie nichts anderes sein als ein wichtiges Moment des individuellen Wachstums. Es überrascht uns nicht, zumindest im gegenwärtigen Elend, Professoren und Intellektuelle, die die providenzialistischen[3] Aspekte der Idee des Fortschritts – eine Idee, vollständig innerhalb der christlichen Eschatologie, da sie die Geschichte voraussetzt und beendet – jahrelang hervorgehoben haben, [nun] das progressivistische Lager unterstützen zu sehen. Sie haben immer gesagt, dass die Vorstellung von einem endgültigen Ende zu Konzentrationslagern führt, und hier sind sie nun – auf der Seite der Gefängniswärter. Alles perfekt rational. Die Sache hingegen, die ein wenig überraschend sein sollte, ist, dass einige Anarchisten Unregierbarkeit unter den Übeln der Politik einordnen (Ich verweise auf die Rückseite des Bookchin-Pamphlets, La Democrazia diretta [Direkte Demokratie], das vor ein paar Monaten von Elèuthera herausgegeben wurden). Das wird die Last der Ereignisse[4] sein.

Die Verlockung der Polis

Mindestens seit Machiavelli bedeutet Politik die Wissenschaft von der Ausübung der Macht, zusammen mit den Techniken, durch die die Autorität sich konstituiert und verteidigt. Bei dem Versuch, nichtstaatlichen öffentlichen Raum (wieder) herzustellen, haben Einige versucht einen anderen Begriff von Politik wieder zu beleben, verstanden als Gemeinschaftsverwaltung, als Selbstverwaltung der Polis. Diese Definition geht, immer mit Schemen verfahrend, auf Aristoteles zurück. Es ist bekannt, dass für ihn der Mensch ein politisches Tier (ein zoón politikón, um genau zu sein) ist. Da der Mensch von Natur aus sozial ist, wird die Sphäre der Polis mit dem Reich der Freiheit gleichgesetzt. Aber für Aristoteles ist die Gesellschaft nicht ausschließlich die Ausbreitung der natürlichen Bedürfnisse und Wünsche. Zusätzlich dazu, dass sie die spontane Kooperation zwischen den Menschen beinhaltet, realisiert sich in der politischen Dimension der Zweck des Menschen. Besser noch, man könnte sagen: der Endzweck, der Telos. In dieser Auffassung ist die Politik bereits ein Beruf, eine Mission und, in der endgültigen Analyse, eine getrennte Aktivität. Wenn man dem den Kult des Gemeinwohls hinzufügt, als ein Ziel, das die Verlangen der Einzelnen unterordnet, sehen wir, dass die Politik (die nicht der einfache Akt des Assoziierens ist) bereits eine Gestalt der Herrschaft annimmt. Überall dort wo es ein heiliges Muss gibt, ist es Aufopferung. Ohne dem Überdenken der konzeptuellen Kategorien, die benutzt werden, irgendetwas von seiner Wichtigkeit zu nehmen, ist es bestimmt nicht verwerflich daran zu erinnern, dass jede Unterwerfung des Individuums unter die soziale Maschine – in Form von Gehorsam gegenüber den staatlichen Institutionen oder gegenüber einer hypothetischen Gemeinschaftsversammlung – die Schlimmste aller Tyranneien ist, selbst wenn sie von der absoluten Mehrheit ausgeübt wird. Nicht zu Unrecht haben einige in der aristotelischen Lehre das Kommen der christlich-liberalen Religion richtig erkannt; die düsteren Schatten der Klauen der Zivilisation.

Das Elend der Garantien

Wenn ich von der Notwendigkeit reden höre, um aus der Isolation zu kommen, müsse man propositiv sein, ist die spontane Reaktion, die in mir aufkommt, Misstrauen. Und das nicht nur, weil Flucht aus dem Ghetto und Greifbarkeit der Aktion größtenteils ideologische Erpressungen sind, durch die die Abflachung und Integration gerechtfertigt werden (viel zu oft versucht jemand Konformismus als geistige Offenheit und das Zurückstellen der Unterschiede als die Verweigerung des Sektierertums auszugeben).Eine andere Sache die mich stutzig macht, ist das Gefühl, dass an der Basis dieses Diskurses das psychologische Bedürfnis nach Garantien liegt. In diesem Bedürfnis verbirgt sich nicht nur die alte quantitative Illusion oder die ebenso alte Ideologie der Einheitsfront (vielleicht jetzt vor der Gefahr der Rechten). Vor allem verbirgt es die Unfähigkeit – was, in unterschiedlichem Ausmaß, jeder fühlt – über das, was existiert, hinaus zu denken. Ich glaube, dass die Hypothese des libertären Munizipalismus[5] viele solche Aspekte hat. Die Verwaltungstechniken, die die staatlich-kapitalistische Herrschaft ansteuert, gestalten sich immer mehr als ein System von Beziehungen die auf der Partizipation basieren. Die Verwaltung des Territoriums wird, sowohl auf der politischen, wie auch auf der ökonomischen Ebene, Formen der relativen Selbstverwaltung anvertraut. Die Möglichkeiten der Technologie erlauben es, die soziale Kontrolle und die Reproduktion des Existierenden ebenfalls dem diffusen Volontariat und dem Assoziationsmus der Basis entlang zu realisieren. Ohne die Veränderungen, die in der produktiven Dimension und der Organisation der Arbeit stattgefunden haben, analysieren zu wollen, interessiert es mich, durch einige Anregungen zum Nachdenken, offenzulegen, wie die munizipalistische Hypothese sich selbst auf das Terrain der Rekuperation stellt.[6]

Es fällt nicht schwer, zu glauben, dass sie eine siegreiche Hypothese sein könnte [!!!]. Wenn man den Weg der Revolte gegen das Bestehende verlässt – gewinnt man immer.

Munizipalismus und Integration

Der Logos, so suggerierte ein Satz von Heraklit, ist für die Menschen das wahre gemeinsame Element. Ihr sprachliches Sein ist der Wesenszug, der sie verbindet. Es verbindet sie jedoch in der Unterschiedenheit. Wenn eine universelle Vernunft tatsächlich existierte, dann würde die Kommunikation unmöglich sein, da jeder die Gedanken des Anderen genau so gut wie seine eigenen kennen würde. Es ist die Einzigartigkeit der Vernunft, die den Menschen zum Kommunizieren treibt. Das, was Staat und Kapital entfremdet und verselbstständigt haben (und was etwas mehr ist, als eine einfache fixe Idee von Bildern) ist das sprachliche Element selbst, der gemeinsame Raum. Wirkliche Gemeinschaft (dass heißt, ich wiederhole, Gemeinschaft von Verschiedenen) wurde nun in ihr Trugbild verwandelt. Die Technologie erschafft virtuelle Gemeinschaften als integrierte Flucht aus einer zunehmend unerträglichen Welt. Es handelt sich nicht bloß um Maschinen (die der promethische Traum der Befreiung, den Einige haben, für auf eine andere Weise benutzbar hält), sondern um eine ganze soziale Organisation. Unsere Leben werden in zunehmend anonymere Container geschleppt – eine Anonymität die, wie bereits erwähnt, paradoxerweise erst nach einer Registrierung, erst nachdem man mit einer eigenen (künstlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen) Identität ausgestattet ist, eintritt. Von dem Moment an, an dem menschliche Beziehungen vollständig von der Arbeit (nicht nur als Lohnarbeit verstanden, sondern als für die Gesellschaft funktionierend) vermittelt werden, und die Umwelt mehr und mehr eine Produktwerbung, ein Nicht-Ort ist, bewegt sich die Suche nach Identität hin zu kollektiven Projektionen, hin zu öffentlichen Sphären, worin man sich selbst erkennt. Von daher kommt die gewaltige Wiedergeburt des Lokalismus, der ethnischen Forderungen: kurz, der Gemeinschafts-Ideologie. Der munizipalistische Vorschlag ist genau der Versuch, dort einen gemeinsamen Raum wiederaufzubauen, wo keine Gemeinschaft mehr möglich ist. Dieser Vorschlag bringt die Überzeugung mit, dass Wege der Selbstverwaltung (nicht mehr als Methode des Kampfes, sondern als eine Form der sozialen Organisation verstanden) möglich sind, vielleicht nicht mehr ausgehend von der Zentralität der Fabrik, sondern von der Zentralität (Beachte: Autonome Zentren [centri sociali]) von besetzten Räumen und anderen Formen von libertären Experimenten. Was nicht erkannt wird, ist, dass die Verwaltung selbst (die Administration) des Territoriums, eine Dimension der Macht ist. Ebenso bei der Produktion. Wo es Messbarkeit der Zeit ist, gibt es Leistung, gibt es Arbeit – auch wenn es nicht durch die Vergütung mit Lohn angestellt wird; der Konsum selbst ist Arbeit. Die Technologie, dasselbe beim Urbanismus, basiert ebenfalls auf der Entfremdung und der Kontrolle der Einzelnen, auf der Gewalt der vermittelten Beziehungen und auf der Opferung der Kreativität.

Selbstverwaltung oder Zerstörung des Bestehenden.

In vielen Gesprächen über Selbstverwaltung war es vielleicht gerade die radikalste Frage, der ausgewichen wurde. Nämlich: Was ist das Wer?, auf das sich die Selbstverwaltung bezieht, wer sind die Selbsts, auf die dieses Konzept verweist? Banal gesagt sind alle bestehenden Strukturen, von Gruppen des Volontariats bis zu staatlichen Institutionen, selbstverwaltet. Für diejenigen, die keine neue Unterdrückung aufbauen oder in die vorliegende [Form] integrieren möchten, kann Selbstverwaltung nur die Dimension – natürlich relational – des Individuums werden. Der Einzelne ist selbst-verwaltend, wenn er Eigentümer seiner Zeit ist und an der Kreation seines eigenen Raumes teilnehmen kann. In einem Wort, wenn er Beziehungen der Gegenseitigkeit haben kann. Innerhalb eines telematischen, von der Vermittlung beherrschten, Territoriums, das von der Anwesenheit von Staat und Kapital konfiguriert wird, kann diese Perspektive nur die der aktiven Verteidigung, des Angriffs sein. Als Exzess des Verlangens, als Liebe der Suche.

In einer Welt, die zunehmend in einen furchterregenden virtuellen Handschuh verwandelt wird, bietet folgende antike Weisheit allen, die die Gewaltlosigkeit der Zerstörung [sic! ] durchlaufen wollen, wertvollen Trost: „Wer Unverhofftes nicht erhofft, kann es nicht finden. Denn sonst ist's unerforschlich und unzugänglich“ (Heraklit). Wo Wissen auf eine Intuition, eine Hypothese des Wegs anspielt. Möglicherweise ist Utopie genau das: nicht ein Ziel, sondern, ein Weg.

[1] Anm. d. Ü.: Bezieht sich Wahrscheinlich auf den Aphorismus Die Worte liegen uns im Wege! In Morgenröte: „Jetzt muß man bei jeder Erkenntnis über steinharte verewigte Worte stolpern, und wird dabei eher ein Bein brechen als ein Wort.“

[2] Anm. d. Ü.: Klassifikationschema zur Einordnung in ein bestimmtes System

[3] Anm. d. Ü.: Providenzialistisch [lat. providentia >Vorhersehung] = an die (positive) Schicksalsfügung glaubend; Gemeint ist der religiöse Glaube daran, dass Gott [oder eben der Fortschritt] schon alles richten wird.

[4] Anm. d. Ü.: Avvenimenti, italienisch für „Ereignisse“, ist ausserdem der Titel einer linken; 1989 gegründeten Wochenzeitung. Der Satz scheint also ein Seitenhieb gegen diese Zeitung zu sein...

[5] Anm.d.Ü.: Libertärer Munizipalismus: Direktdemokratistische und citoyenistische Lehre die auf Murray Bookchin zurückgeht. Eine Kritik dieser Ideologie hat heute, wo deren Aufgreifen durch Öcalan und die PKK (oft als eine Hinwendung zum Anarchismus dargestellt) wohl einige praktische Effekte zeigen sollte, noch einiges an Relevanz gewonnen!

[6] Ich möchte hier, aus Höflichkeit, von jeder Bewertung der Praxis, bei Wahlen zu kandidieren – die von vielen Munizipalisten akzeptiert wird – schweigen.