Titel: Gegen den Krieg, Gegen den Frieden
Untertitel: Elemente für einen aufständischen Kampf gegen den Militarismus und die Repression
Datum: Frühling 2015
Quelle: Entnommen aus „Disconex15 - Textsammlung anlässlich der Übung der Schweizer Armee im September 2015 in Basel“, S. 8-16.
Bemerkungen: Original auf Französisch, Originaltitel: "Contre la guerre, contre la paix – Eléments de lutte insurrectionnelle contre le militarisme et la répression", Frühling 2015, übersetzt ins Deutsche August 2015.

Krieg und Frieden

Die Gedenkveranstaltungen an die Ereignisse von 1914-1918, die ein bisschen überall in Europa organisiert werden, erinnern uns daran, dass alle gegen den Krieg sind. Vom Staatsmann bis zum Bürger, vom Unternehmer bis zum Philosophen, vom Forscher bis zum Arbeiter: alle sprechen sich kategorisch gegen eine Wiederholung des grossen Gemetzels aus. Sie sind für den Frieden. Und im Namen von eben diesem Frieden akzeptieren sie, mit unterschiedlichen Graden an Verantwortung, Kollaboration oder Akzeptanz, gewisse Kriege. Sei es, um die Stabilität in einer Region wieder herzustellen, welche dem Bürgerkrieg preisgegeben ist, um einer Bevölkerung zur Hilfe zu kommen, welcher der Genozid droht, oder um grausame Regime zu ersetzen: der Weg zum Krieg ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Im Namen von Werten, die von der gesamten Menschheit anerkannt werden, der «Gerechtigkeit» und dem «Frieden», werden die schlimmsten Massaker begangen.

Wir sind heute weit entfernt von der Zeit, wo sich die Staaten, bevor sie offene Feindlichkeiten einleiteten, bei ihren jeweiligen Botschaften eine Kriegserklärung einreichten. Anhand einer juristischen Formel - als Frucht des liberalen Denkens - wie der Kriegserklärung, offerierten sich die Staaten ein legales Alibi, um zu legitimieren, was in «Friedenszeiten» als verboten galt, namentlich den Mord, den Übergriff oder die Vergewaltigung. Um den Krieg mit der Idee von einem liberalen Regime verträglich zu machen, mussten die Staaten folglich über eine Formel verfügen, um ihre Konstitution und ihre Gesetzlichkeit ausser Kraft zu setzen.

Heute befinden wir uns nicht mehr in einer Situation, worin die Gesetzlichkeit ausser Kraft gesetzt worden wäre und worin der Krieg aufgehört hätte zu existieren, sondern in der Situation, worin der Krieg selbst in die Gesetzlichkeit eingetreten ist. Der Krieg schreitet noch immer vorwärts, zwar gekleidet in andere Begriffe, die zweifellos auf andere Intensitäten von staatlichem Terror schliessen lassen, aber noch immer ein und derselben militärischen Logik entsprechend: humanitäre Operationen (Besetzung eines Gebietes), Luftschläge (Bombardierungen), Inhaftierung von Terroristen (Entführungen) oder Beseitigung von Bedrohungen (Standhinrichtungen).


Als Anarchisten kann uns das alles kaum überraschen. Krieg und Frieden waren schon immer zwei unterschiedliche Worte, die den Fortbestand der Ausbeutung und der Herrschaft verdecken. Massaker, Blut und Gewalt; Militarisierung, Disziplin und Gehorsam bilden den Kern selbst von jeder Autorität. Die einzige Frage, die sich vielleicht noch stellt, ist: was ist aus dem Frieden geworden? Wenn sich die militärischen Operationen, die von den demokratischen Ländern lanciert werden, in einem unablässigen Rhythmus aneinanderreihen, so rufen sie praktisch kaum noch Protest hervor. Und es ist stark zu bezweifeln, dass dem so ist, weil die Bevölkerung die immer stümperhafteren Rechtfertigungen der Regierungen geschluckt hat. Nein, eine andere Schlussfolgerung drängt sich uns auf: Krieg und Frieden werden nicht mehr als getrennte Momente gelebt.

Manche Leute mögen uns vielleicht eines schwer verdaulichen Maximalismus bezichtigen, aber wir können die These nicht annehmen, welche Zeit und Raum in Perioden des Krieges und Perioden des Friedens auftrennt. Und eben dies ist es übrigens, was das Fundament des anarchistischen Antimilitarismus ausmacht: Gegen den Krieg, gegen den Frieden, für die soziale Revolution.

Der erste Grund, um keine solchen Unterscheidungen zu machen, besteht darin, dass Krieg immer vorbereitet wird, denn er benötigt Waffen, Übungen, Provisionen, Planungen, geistige Vorbereitung der Bevölkerung,... Die Vorbereitung für den Krieg ist bereits Krieg, und da jeder Staat sich immer auf den Krieg vorbereitet, gibt es effektiv weder Krieg noch Frieden.

Der zweite Grund besteht darin, dass es weder logisch noch konsequent wäre, einerseits die Verflechtung von Wirtschaft und Krieg, den militärisch-industriellen Komplex anzuprangern, während andererseits die Wirtschaft selbst, der Staat selbst nicht als Kriegsmaschinen betrachtet werden. Und selbst auf Ebene von schrecklichen Statistiken ist es nicht gewiss, dass der «normale» Lauf des Kapitalismus und der Macht weniger Opfer fordert als ein Krieg, wie er klassischerweise definiert wird. Kapital und Staat basieren auf Blut und Massaker. Alles, was produziert wird, basiert auf Blut und Massaker. Jede Initiative, jede Massnahme des Staates bringt Blut mit sich, bis hin zur sogenannten «Unterhaltung», wie es das jüngste Beispiel anlässlich des für und während der Fussballweltmeisterschaft in Brasilien begangenen sozialen Massakers bezeugt. Der Frieden der Märkte ist nichts anderes als der Krieg der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten, mit allen vorstellbaren Mitteln.

Der dritte Grund besteht darin, dass die Tatsache, zu akzeptieren, dass ein Staat die Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden dekretieren kann, gewissermassen impliziert, anzuerkennen, dass es inakzeptable Kriege, aber auch gerechtfertigte militärische Interventionen gebe. Der «Frieden» wird durch die Angst aufrechterhalten, die es der Macht zu verbreiten gelingt, und der Krieg wird akzeptiert aufgrund der Angst vor einem noch grösseren Massaker. Zu jeder Zeit ist es also der Staatsterrorismus, welcher am Werk ist.


Aber weshalb dann auf dem Krieg beharren, wenn er schon immer präsent war und mit den anderen Aspekten der Herrschaft ein und dasselbe bildet? Weshalb heute die Hypothese einer kommenden zusätzlichen Verstärkung der Militarisierung in der Verwaltung des Kapitals aufstellen?

Restrukturierung, Revolten und Krieg

Die laufende Restrukturierung auf ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Ebene enthüllt heute immer mehr Spuren davon, dass ein neues Projekt der Herrschaft dabei ist, zu entstehen. Dieses installiert sich nach und nach infolge der Offizialisierung der Todesurkunde des sozial-demokratischen Projektes, und des Abschlusses von einem Jahrzehnt von Versuchen zur Aktualisierung des letzteren unter der Form von «Bürgerpartizipation» und «Zivilgesellschaft». Eine Analyse von den Konturen dieses neuen Projekts drängt sich in der kommenden Zeit auf, denn diese wird es ebenfalls erlauben, die Veränderungen auf den Gebieten der revolutionären Konfrontation besser zu verstehen. Eine solche Analyse wird sich nicht damit zufrieden geben können, einen schlichten Blick auf die Angelegenheit zu werfen, zu einer theoretischen Ausarbeitung zu schreiten, denn sie wird sich auch durch neue Kampferfahrungen, so minoritär und begrenzt sie auch sein mögen, und durch die Versuche, wieder eine revolutionäre Projektualität aufzubauen, nähren müssen.

Jede Restrukturierung impliziert eine gewisse Instabilität. Das ist ein bisschen wie die Kühlerhaube von einem Autos zu öffnen. Auf einmal kommt der Motor zum Vorschein, greifbar, gewaltig, schmutzig. Und die Ingenieure des Kapitals sind nunmal gezwungen, die Kühlerhaube zu öffnen, wenn sie beabsichtigen, gewisse Teile oder die Gesamtheit des Motors auszuwechseln. Ihr Projekt ist eine neue Methode, um die Explosionskraft des Treibstoffs, der Ausbeutung, zu maximieren, und sich zu versichern, dass die Leitungen dem Druck standhalten, ihn unter Kontrolle halten können.

Waren die Auflehnungen der letzte Jahre also vorhersehbar? Hätte jemand Vorhersagen können, dass die Unruhen in Tunesien sich in einen riesigen Flächenbrand verwandeln würden, der dutzende von Ländern, von Ägypten bis Syrien, von Bosnien bis zur Ukraine ergreift? Wir denken nicht. Selbst der optimistischste Revolutionär, offensichtlich noch immer ein Gefangener der Realität, hätte sich das im Jahr 2011 nicht denken können. Selbst nach der Revolte vom Dezember 2008 in Griechenland hätte er sich das nicht gedacht. Einige Hitzköpfe haben vielleicht versucht, ihre Vorahnungen in Worte zu fassen, aber die aufständische Ansteckung hat sich schliesslich schneller ausgebreitet als die Hypothesen der Revolutionäre. Und nun, sind wir heute etwas fähiger geworden, die aufständischen Herde zu erkennen, sie zu erkennen und ein Projekt zu haben, und sei es auch ein minimales, um zu ihrer Ausbreitung beizutragen, bevor das Spektakel den Vorhang wieder schliesst oder der Freiheitsdrang in einem Blutbad ertränkt wird?

Gewiss ist, dass diese Auflehnungen in einen gewissen Kontext interveniert sind, einen Kontext von Restrukturierung zahlreicher Aspekte der Herrschaft, und zwar auf globaler Ebene. Sie waren eine Vorpremiere dessen, was, möglicherweise, auf uns zukommt. Ein Wiedererwachen des Verlangens nach Freiheit. Das Auftauchen von revolutionären und selbstorganisierten Praktiken. Die immer blutigere, immer reaktionärere Intervention von religiösen und nationalistischen Kräften innerhalb der Revolten. Der Bürgerkrieg und das industrielle Massaker an den Aufständischen. Die blutige Selbstbehauptung der Staaten bezüglich ihrer Überlegenheit und ihrer Unumgeänglichkeit. Die Beschleunigung der kapitalistischen Ausbeutung. Lauter Elemente, die wir innerhalb und infolge dieser Auflehnungen gesehen haben.

Die jüngsten Militärinterventionen in Libyen (Bombardierungen der NATO), in Ägypten (Machtergreifung der Armee, nach jener der Muslimbrüder, um die Revolution zu zerschlagen), in Syrien (die unerbittliche Reaktion des Assad-Regimes, die militärischen Einmischungen anderer Länder, die Bombardierungen der Koalition, alles darauf abzielend, die embryonale Revolution in einen Bürgerkrieg und einen «Stellvertreterkrieg» zu verwandeln), in der Ukraine (die Volksaufstand, der durch einen zwischenstaatlichen Konflikt beerdigt wird) und im Gazastreifen («Um das Kraut zu schneiden, das gewachsen ist», wie es ein israelischer Parlamentarier ausdrückte, was man nicht nur in Bezug auf die Macht der Hamas, sondern auch in Bezug auf das Aufstandspotenzial in den palästinensischen Gebieten interpretieren könnte) waren zweifellos inspiriert von und verbunden mit unheilvollen geopolitischen Interessen, aber wir wollen ebenfalls betonen, was heute wenige zu sagen scheinen: diese Militärinterventionen haben, faktisch und abgesehen von der Gesamtheit ihrer komplexen und widersprüchlichen «Gründe», Revolten und Auflehnungen in einem Blutbad ertränkt, um ihre Verwandlung in ethnische und sektiererische Kriege zu begünstigen. In anderen Worten: sie haben die revolutionäre Dynamik und Vorstellungswelt zerschlagen, welche in den letzten Jahren die Herzen zahlreicher Revoltierender und Ausgebeuteter hat erobern können. Sicher, diese Vorstellungswelt ist nicht vollkommen klar, ist nicht ganz so deutlich. Es ist nicht die strahlende Sonne der anarchistischen Zukunft, die endlich die Wolken der Lügen und der Ideologien durchbricht. Es ist eine Vorstellungswelt durchdrungen von tausend Widersprüchen, zwischen Freiheit und Reaktion, zwischen Subversion und Politik, aber dennoch hat sie sich bekräftigt, hat sie der Revolte der Unterdrückten, welche den Mut hatten, sich gegen das Bestehende aufzulehnen, Leben eingehaucht.

Skeptische Revolutionäre und demokratische Partisanen haben sich in einem gemeinsamen Willen zusammengefunden, diese Auflehnungen als «Schreie nach Demokratie» zu klassifizieren. Die einen, um ihre Unfähigkeit zu erklären oder zu rechtfertigen, eine revolutionäre Solidarität auf die Beine zu stellen und an der Ausbreitung der Auflehnungen durch die Ausarbeitung eines aufständischen Projektes zu arbeiten. Die anderen, um den Aufstand wieder unter das staatliche Joch zu bringen und das Fortbestehen der kapitalistischen Ausbeutung vor jeder Infragestellung zu schützen. Heute, wenn wir die Tatsachen betrachten, so ist es, vielmehr als eine demokratische Rekuperation, vor allem die Repression, welche die Überhand genommen hat. Wer spricht noch von der «demokratischen Revolution in Ägypten» oder der «demokratischen Revolte gegen das Regime von Gadaffi»? Wer? Man kann daraus also schliessen, dass es im Mindesten verfrüht, ja sogar falsch war, zu denken, dass diese Auflehnungen dasselbe Schicksal erfahren werden wie das von so vielen Kämpfen des letzten Jahrzehnts auf europäischem Boden: die Rekuperation und die Integration in das Spektakel. Heute, vielmehr als die Figur des geschickten demokratischen Politikers, ist es das rohe Gesicht der von einem Jagdflieger abgeworfenen Bombe, das sektiererische Massaker und die Masseneinsperrung, die auf die revolutionären Begehren antworten.

Der Elan dieser Auflehnungen ist nicht tot. Noch nicht. Er ruft weiterhin Kämpfe ins Leben, bald vielversprechende, bald tragische, in einem Kontext, in dem die Herrschaft, eben, versucht, die Grundlagen für ein neues Gleichgewicht zu finden, die Grundzüge für ihr neues Projekt zu umreissen, um die Unterdrückung und die Ausbeutung fortzusetzen. Heute in der Defensive zu bleiben, bedeutet, das Todesurteil dieser Auflehnungen zu unterschreiben; schlimmer noch, es bedeutet, zur x-ten Beerdigung der Befreiungsbegehren beizutragen. Gegenüber der Verschärfung der Repression ist es nicht ein Wettlauf in Richtung von Allianzen mit autoritären Kräften, den es zu unternehmen gilt, sondern einen Parcours, um aufständische Projekte zu entwickeln. Es ist der Aufstand und die aufständischen Akte, wodurch wir denken, dass es möglich sein wird, diese teuflische Spirale kurzzuschliessen, die immer schneller auf die blutige Bekräftigung der Überlegenheit der Macht zusteuert. Ja, die Zeit drängt, es ist bereits spät, sehr spät. Aber versuchen wir zunächst einmal mehr, andere Aspekte der Realität zu untersuchen, in welcher und gegen welche dieses aufständische Projekt seinen Weg wird bahnen müssen.

Das repressive Projekt: Massaker, Militarisierung und Einsperrung

Die «revolutionären Anstürme» der 70er Jahre liegen heute weit hinter uns. Die Transformationen, die, neben der massiven Repression, von der Herrschaft bewirkt wurden, um sie zu neutralisieren, konnten im Allgemeinen als abhängig von zwei Tendenzen charakterisiert werden: eine in Richtung Einschliessung und eine andere in Richtung Ausschliessung. Dieser Prozess hat neue Demarkationslinien innerhalb der Gesellschaft gezogen. Heute können wir feststellen, wie sehr dieser Prozess nicht mehr an seinen Anfängen ist: er hat sich als Verwaltungsweise realisiert. Das Los, das den Ausgeschlossenen Vorbehalten wird, ist ein Schicksal von Abstumpfung, Einsperrung und unbändiger Ausbeutung, je nach dem Ort auf dem Planeten, wo sie sich befinden, und je nach dem Bedürfnissen der Produktion und der Reproduktion. Wenn die Technologien es einerseits der Macht erlaubt haben, sich eine feinmaschige Kontrolle über die Gesamtheit der Gesellschaft zu sichern, so ist andererseits die Anzahl bewaffneter Konflikte, im Allgemeinen in Form eines Bürgerkrieges mit der Intervention anderer Mächte, noch nie so gross gewesen.

Verwaltungsweisen, die zuvor eher Kontexten von militärischer Besetzung Vorbehalten waren, wie die generalisierte Fichierung, die administrative Inhaftierung, die Konzentrationslagerlogik, die Kontrolle der Bewegungen, werden heute auf immer mehr Gebieten des gesellschaftlichen Lebens angewandt. Diese Verwaltung resultiert aus dem Ineinandergreifen aller Kontroll- und Regierungstechniken innerhalb von einer Aufstandsbekämpfungsstrategie nach militärischer Gangart. Die Lektionen aus der Experimentierung in einem immensen Konzentrationslager unter offenem Himmel wie zum Beispiel jenes vom Gazastreifen dienen ebenso den Operationen zur blutigen Befriedung in den Favelas von Rio de Janeiro, wie als Leitlinien des totalitären Urbanismus in den europäischen Metropolen. Die Militarisierung der Grenzen der Europäischen Union, wo jedes Jahr tausende von Personen sterben, hat die Militarisierung einer wachsenden Anzahl Transportachsen innerhalb der Union zur Folge. Die Modelle zur Wiederherstellung der Kontrolle in von Katastrophen getroffenen Gebieten werden direkt auf die Erfahrungen im Bereich der militärischen Besetzung gestützt. Die Macht ist sich also sehr wohl darüber bewusst, dass die massive Ausschliessung auch Risiken von sozialen Explosionen mit sich bringt. Durch den Prozess der Zerstörung der Sprache, im Sinne der Zerstörung jeder anderen Vorstellungswelt als der Realität des Kapitals, gedenkt sie sogar, sich versichern zu können, dass die eventuellen Revolten eben auf Explosionen beschränkt bleiben, die vielleicht durchaus zerstörerisch sein mögen, aber ohne revolutionären Impuls. Innerhalb von diesem Rahmen assistieren wir also einer Generalisierung der Logik der militärischen Intervention gegen jegliche Revolte. Es wäre falsch, die sicherheitstechnische Beschleunigung, das Anwachsen der Anzahl von Forschungen und Machenschaften zur Aufstandsbekämpfung, die zunehmende Brutalität in der Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verschärfung auf gesetzlicher Ebene als lauter Zeichen davon zu betrachten, dass die Macht Angst hat. Es ist nicht so, dass sie niemals Zweifel hätte, welche sich in die Arroganz der Mächtigen einschleichen, aber es scheint uns, dass all dies vielmehr dazu bestimmt ist, den Ausgeschlossenen Angst zu machen. Angst zu sähen, ist, wie wir gut wissen, eine hervorragende Weise, um sich die blinde Zustimmung oder die resignierte Unterwerfung des jeweiligen Subjekts zu sichern. Und Angst ist auch ein unumgänglicher Bestandteil des Krieges. Alles kann heute als Bedrohung dienen, alles ist gut, um Angst einzuflössen. Terrorismus, Umweltkatastrophen, Elektrizitätsknappheit, Finanzkrise... alles austauschbar innerhalb von einer immer militarisierteren Verwaltung des sozialen «Friedens», das heisst des Krieges gegen die Ausgebeuteten und die Ausgeschlossenen.

Wenn man zwischen der Restrukturierung einerseits, und den Revolten, dem Krieg und der Ausschliessung andererseits, ganz abgesehen von der Angst und der Militarisierung des Territoriums, deutliche Verbindungen erkennen kann, so befinden sich auch andere Aspekte der Herrschaft in Restrukturierung. Die Ausweitung der physischen und geistigen Kontrolle, welche heute die Quasi-Totalität der Gesellschaft und des sozialen Raumes umfasst, hat, entgegen den humanistischen Absichten, welche die Macht für eine gewisse Zeit vorspiegeln mochte, nicht eine Verringerung der Anzahl repressiver Strukturen, sondern vielmehr ihre Vervielfachung zur Folge gehabt. Die Macht hat, nachdem sie die Kontrolle generalisiert hat, nicht Gefängnisse geschlossen, sie hat die Gefängnislogik auf immer mehr Bereiche der Gesellschaft ausgeweitet, indem sie die Grenze zwischen «draussen» und «drinnen» immer verschwommener machte, so dass sich heute überall in Europa dutzende neue Gefängnisse und Festhaltezentren in Bau befinden. Die Spezialregime, das Gefängnis innerhalb des Gefängnisses, vervielfältigt sich als unabdingbare Folge der Verwaltung einer immer bedeutenderen Gefängnisbevölkerung. Auch das gesetzliche Arsenal gegen den «Banditismus» und den «Terrorismus» wird verschärft.

Die Hypothese einer immer immer offeneren und toleranteren pluralistischen Macht, die so das reibungslose, strahlende Funktionieren des Kapitals garantiert, scheint sich vielmehr zu Gunsten von einer anderen Hypothese zu entfernen, jener einer gesteigerten Militarisierung auf allen Ebenen.

Die Repressionsfabrik

Krieg und Massaker bilden den Kern der kapitalistischen Ausbeutung und der staatlichen Unterdrückung. Diese Bekräftigung hat nicht zum Ziel, irgendeine Sympathie oder irgendein Engagement für einen wohlmeinenden und naiven Humanitarismus zu erwecken, sondern eine Distanz zu all jenen zu markieren, die fortwährend auf der Suche nach «objektiven Gründen» sind, um ihre eventuelle revolutionäre (Nicht-)Intervention vor dem Tribunal der Geschichte zu rechtfertigen. Die Herrschaft produziert andauernd «objektive Gründe», um nicht zu handeln, um nichts zu tun, um zu akzeptieren, sie produziert «sozialen Frieden». Sie mystifiziert die Tatsache, dass ihr Reich auf dem Massaker und dem Schrecken basiert. Diese Mystifizierung zu durchschauen, ist kein leeres rhetorisches Spiel, es ist das erste Hindernis, das es zu überwindend gilt, um die Grundlagen für eine revolutionäre Intervention zu jedem Zeitpunkt zu legen. Dieses Hindernis ist auch tief moralisch. Es besteht aus einem Berg von befriedigenden Argumenten, von Zuspitzungen des Schreckens, der gegenüber der Gewalt und dem Blut empfunden wird. Diesen Berg zu erklimmen ist keine einfache Aufgabe. Denn im Grunde, um zum Angriff überzugehen, müssen wir auch unsere kleinen Herzen durchbrechen, welche durch Jahrhunderte von Moral domestiziert wurden, und unsere Arme entrosten, welche durch so viel Anpassung entwaffnet wurden. Ohne dies wird kein anarchistisches revolutionäres Projekt möglich sein.

Aber gehen wir nun zum ersten Gegenstand dieser Frage über: die Repressionsfabrik. Ein vieluntersuchter, und vielumgangener Gegenstand. Die Repression, wenn sie sich nicht in Strukturen und Menschen konkretisieren würde, wäre bloss eine leere Idee ohne realen Einfluss. Und in der Tat, sobald wir beginnen, von Waffenproduktion, von Verteidigungs- und Sicherheitssystemen, von Überwachung und Kontrolle zu sprechen, so können wir unmittelbar hunderte von Industrieanlagen, Fabriken und Laboren vor unseren Augen auftauchen sehen, aber auch Tausende von Ingenieuren, Spezialisten, Forschern, und auch Basisarbeitern, alles und alle eingebundnen in die Produktion von Todes- und Kontrollinstrumenten. Kriege und Militarisierung werden hier produziert. Sie werden hier vorbereitet und geplant. Sie werfen, in den meisten Fälle, hier saftige Profite ab. Und es ist somit auch hier, wo jemand, der handeln will, die Kriegsproduktion ins Visier nehmen kann.

Und da die Demarkationslinie zwischen «militärischen» und «zivilen» Applikationen heute sehr verschwommen, ja sogar inexistent geworden ist, umfasst die Todesproduktion auf immer direktere Weise breite Wirtschaftssektoren. Jenseits der weit bekannten und gigantischen Waffenproduzenten, liefern hunderte von anderen Unternehmen, die oft sehr anonym und diskret sind, die unerlässlichen Bestandteile für erstere, und, einmal zusammengebaut, werden diese Bestandteile zu schrecklichen perfektionierten Bomben. Dasselbe gilt dafür, was Labore und Forschung betrifft. Um nur ein Beispiel zu machen: die Konzentrationslagerlogik, also die Aufrechterhaltung der Ordnung durch Zonierung, durch Unterteilung in Zonen (was in jeder militärischen Besetzung eines Territoriums, aber auch im totalitären Urbanismus der Metropolen am Wirken gesehen werden kann), erfordert eine gesteigerte Kontrolle und eine permanente Überwachung der Grenzen dieser Zonen und ihrer Zugangswege. Es existiert eine ganze angewandte «Wissenschaft», die sich in den letzten Jahrzehnten in schwindelerregender Entwicklung befindet, in Bezug darauf, was als die Problematik des «Checkpoints» charakterisiert werden könnte. Die technologische Forschung, um diese - reellen oder «virtuellen» - Checkpoints auszustatten, ist eine der fortgeschrittensten, denn es geht darum, eine totale und unmittelbare Kontrolle zu realisieren. Die Applikationen, welche für die israelischen Checkpoints entwickelt wurden, statten ebenso auch die Zugänge der Flughäfen, der Institutionen, der öffentlichen Transporte, der Chemiefabriken usw. aus.

Abgesehen von der Untersuchung der eigentlichen Produktion, können wir uns auch der Produktion von «Menschen», dem Training von Mördern und Folterern zuwenden. Wenn der klassische Prozess zur Fabrikation des perfekten Soldaten weitum bekannt ist (Training, Eintrichterung von blinder Disziplin, dann Eintauchung in den Kampf, wobei der erste Mord die Türe zum wiederholten Mord auf Kommando öffnet), so können wir heute sehen, wie diese Eintauchung auch auf eine von der Realität getrennte Weise erfolgen kann. Der Pilot des Jagdfliegers sieht sein Ziel nicht, er sieht bloss die Satellitenkoordinaten. Der Pilot der Drone, die im Mittleren Osten mordet, tätigt seine Arbeit von 9 bis 17 Uhr, ausgehend von einem Karawanenpark irgendwo in den Vereinigten Staaten, mit einem Joystick hantierend, der demjenigen einer Playstation gleicht. Die Grenzwächter, welche die Gewässer des Mittelmeeres überwachen, assistieren per Satellit dem Ertrinken von Hunderten von Personen, deren Schicksalsboot untergeht. Je mehr die emotionale und physische Distanz zwischen dem Folterer und dem Foltergegenstand zunimmt, eine Distanz, die entweder durch eine übergeordnete Autorität oder durch eine technologische Prothese überdeckt wird, desto «effizienter» kann der Folterer seine Arbeit ausüben.

Die übergrosse Mehrheit der Forscher, welche die schrecklichsten Todesinstrumente entwickeln, die Ingenieure, welche die Waffenfabriken antreiben, sind in jeglicher Hinsicht gewöhnliche Leute. Sie sind keine blutrünstigen Monster, es ist sogar wahrscheinlich, dass sie, entsetzt, vor dem Schlachten einer Kuh zurückweichen würden. Sie mögen sogar linke Ideen haben. Wenn man wünschte, eine beruhigende Vorstellung des blutrünstigen und reaktionären Feindes zu konstruieren, um ihn ohne Zögern angreifen zu können, würde man sich nicht nur täuschen, sondern sich vor allem sehr entwaffnet vor der Repressionsfabrik wiederfinden. Was wir brauchen, ist etwas ganz anderes als die Produktion von einem Bild des Feindes, wir brauchen Ideen und Verlangen, die das Warum unseres revolutionären Handelns begründen. Wir brauchen die Ethik von jemandem, der für die Befreiung kämpft, eine Ethik des Aufständischen, die keine der Befriedung zollende Moral ist. Wir brauchen vertiefte Analysen und präzise Informationen.

Konturen einer anarchistischen Projektualität gegen den Krieg und gegen die Repression

Die Anarchisten sind gegen den Krieg, gegen alle Kriege. Aber wir sind auch gegen den Frieden. Wir sind gegen den Frieden der Märkte, gegen den Frieden der Autorität, gegen den Frieden der Abstumpfung und der Knechtschaft. Wir sind für die soziale Revolution, für die gewaltsame und tiefgreifende Umwälzung der bestehenden sozialen Verhältnisse, welche auf der Ausbeutung und der Autorität basieren.

Aber diese Felsen des anarchistischen Ideals halten während Stürmen nicht immer so gut stand. Es ist nicht selten geschehen, Gefährten sagen zu hören, dass die NATO-Intervention in Libyen nicht das Gelegenste sei, was es anzuprangern gilt. Ebenso, wie es heute wenige anarchistische Stimmen gibt, die sich gegen die militärische Intervention der internationalen Koalition in Syrien erheben. Es geschieht auch nicht selten, dass man sehen kann, wie Anarchisten dem Prinzip des taktischen Opportunismus erliegen: „der Feind meines Feindes ist mein Freund». Ist es noch immer nötig, daran zu erinnern, dass der Feind meines Feindes von heute gestern auch der meine war, und dass ich vielleicht morgen von den beiden anderen als Feind betrachtet werden werde...?

Diese berühmten Felsen neigen auch dazu, im Feuer der Aktion zu erodieren, wenn letztere nicht von einer standfesten Projektualität gestützt wird. Die Faszination für die angebliche «Effizienz» des autoritären Guerillamodells beispielsweise hat mehr als einen Gefährten dazu veranlasst, es - natürlich stets «vorübergehend» - zu akzeptieren, auf gewisse Grundlagen des Anarchismus zu verzichten, oder den Vorschlag der aufständischen informellen Organisation zu verwerfen, welcher als «weniger effizient» erachtet wird, um die Feindlichkeiten zu entfachen oder in sie zu intervenieren. Es ist jedoch sehr wohl letztere, die sich gegenwärtig als die beste Weise herausstellen könnte, um die laufende repressive Restrukturierung, das Massaker an den Aufständischen und die Beerdigung eines revolutionären Elans zu bekämpfen.

Gegen den Krieg, aber nicht entwaffnet

Zweifellos, wie jemand es lakonisch ausdrückte, «wir sind schwach geworden». Und er fügte an, «alle, ohne Ausnahme». Wenn dieses Urteil die theoretischen Fähigkeiten der Anarchisten betraf, so bezog es sich mehr noch auf ihre operativen Fähigkeiten. Eine Schwäche, die umso greifbarer wird, wenn wir das Monster des Massakers und des Krieges vor uns haben. Es nützt jedoch nichts, mit den Wölfen zu heulen, lieber nehmen wir diese Schwäche zur Kenntnis und versuchen, ihr abzuhelfen. Ohne uns einzubilden, schnell grosse Schritte zu machen, ohne zu beginnen, dem Kult der «Stärke» zu verfallen, der oft in Richtung einer Militarisierung des Kampfes treibt, müssen wir uns wieder einen Weg, einen Parcours erdenken. Gewisse Dinge lernt man nicht von einem Tag auf den anderen; und wenn das drängende und unmittelbare Bedürfnis einen Anschub geben kann, so ist es dennoch besser, sich im Voraus vorbereitet zu haben.

Denn es ist auch eine geistige Frage. In Wirklichkeit sind wir fähig, alles zu tun, was wir wollen, oder fast alles, die wirkliche Frage ist vielmehr, zu wissen, ob wir bereit sind, die notwendigen und unerlässlichen Anstrengungen aufzubringen. Um sich mit technischen Kenntnissen auszustatten, müssen die betreffenden Materien ernsthaft studiert werden. Um gewisse Fähigkeiten zu entwickeln, muss man über Zeit verfügen, um sich ihnen zu widmen. Nur auf diese Weise können diese Kenntnisse anschliessend in einem Projekt brauchbar werden, die Kreativität bewaffnend und die Ideen verstärkend.

In diese Richtung müssen wir also arbeiten, wenn wir nicht von anderen Strömungen abhängen, den Launen und den blossen Möglichkeiten des Moments ausgeliefert sein, oder schlichtweg auf die Interventionen verzichten wollen, aufgrund von mangelnden Fähigkeiten und Mitteln. Und dies ist wahrlich das Traurigste, was einem Gefährten geschehen kann.

Die internationalistische Aktion

Gegenüber dem Krieg und dem Massaker an Aufständischen kann der anarchistische Vorschlag nur jener der internationalistischen Aktion sein. Diese ist zuallernächst eine Weigerung, sich hinter das eine oder andere Lager zu stellen, das als «weniger schlimm» gilt, oder den militaristischen Interventionen von grossen Mächten gegen oder für dieses oder jenes Lager zu applaudieren. In diesem Kontext besteht die internationalistische Aktion grundlegend darin, den Aufstand und die soziale Revolution gegen die Reaktion zu verteidigen. Sie verläuft entlang von zwei grundlegenden Achsen, diejenige, die revolutionären und antiautoritären Tendenzen innerhalb des Aufstands selbst zu unterstützen, und diejenige des Angriffs gegen das repressive und militärische Bestreben hier.

Wenn man die Möglichkeit, direkt im Herzen selbst des Aufstands anderswo zu intervenieren, nicht im Voraus ausschliessen kann, so denken wir, dass die internationalistische Aktion auch als verstreut und dezentralisiert aufgefasst werden kann. Während der Revolution von 1936 gingen zahlreiche Anarchisten an Seiten ihrer spanischen Gefährten kämpfen. Wenn es zweifellos möglich war, die Revolution zu stärken, indem man sich vor Ort begab, so haben andere Gefährten daran erinnert und versucht, die Revolution zu stärken, indem sie den Konflikt nach anderen Breitengraden ausweiteten. Sei dies nun in Form von Streiks in den Häfen, wo die mit Waffen beladenen Schiffe passierten, um die Faschisten in Spanien zu versorgen, von gezielten Angriffen gegen Interessen der internationalen Reaktion, oder auch in Form der Intensivierung und der Beschleunigung von aufständischen Projekten, um die Feindlichkeiten anderswo zu entfachen. Wenn die erstere Sache, also die internationalistische Intervention im Herzen des Aufstands, von einer Potenzialität abhängig ist, wofür heute die Grundlagen und die Bedingungen wiederaufgebaut werden müssten, so liegt die zweitere Sache, also die aufständische Ausweitung der Feindlichkeiten und die Sabotage der Interessen der Reaktion, mehr in der Weiterführung der bereits bestehenden Initiativen und Aktivitäten, mit unterschiedlichen Graden, indem ein informeller Raum geöffnet wird, der die Grenzen übersteigt.


Gegenüber der Restrukturierung der Repression und ihren militärischen und sicherheitstechnischen Konsequenzen scheint es uns möglich und wünschenswert, die Grundzüge einer aufständischen anarchistischen Projektualität neu zu umreissen. Denn Krieg und Restrukturierungen sind, trotz den erdrückenden Stärkedemonstrationen der Macht, auch Momente, in denen die Immunverteidigung des Systems etwas schwächelt und in denen sie einige von ihren offenen Wunden, ja sogar von ihren Schwachpunkten zeigt. Und dies sind somit auch geeignete Momente, um zu versuchen, die Situation zum Entgleisen zu bringen, oder um zur Auslösung des Aufstands beizutragen.

Wenn diese Projektualität den Weg eines aufständischen Kampfes gegen eine neue repressive Struktur erkunden kann, so mag sie, anderswo, am selben Ort oder zur selben Zeit, den Boden für den Angriff gegen die repressive und militärische Bestrebung, gegen die Rüstungsindustrie und die Repressionsfabrik präparieren. Dies erfordert eine ganze Arbeit an Recherche und Information, welche die Orte und die Menschen der Todesproduktion, die Verknüpfungen, die Informations- und Kommunikationskanäle, die Energieversorgungslinien und die Befehlsketten detailliert darlegt, während auf diese Weise Interventionsachsen geliefert und die Kenntnisse zur Verfügung gestellt werden, die unentbehrlich sind, um anzugreifen.

Die Ziele von aufständischer Zerstörung einer repressiven Realisierung der Macht und die Destabilisierung, durch eine Verbreitung von Angriffen, ihrer Repressionsproduktion, und somit der Produktion von sozialem Frieden, können in diesen instabilen Zeiten Orientierungspunkte in der Entwicklung und Vertiefung von einer neuen anarchistischen Projektualität sein.