Titel: „Wieso soll ich sexistisch sein? Ich bin Anarchist!“
AutorIn: Crass, Chris
Datum: 25. August 2003
Bemerkungen: Original auf Englisch, Originaltitel: "How Can I Be sexist? I’m An anarchist!", veröffentlicht auf www.countercurrents.org.

„Was meinst du damit? Ich soll ein Sexist sein?” Ich war geschockt. Ich bin kein Macker, ich habe keinen Hass auf Frauen, ich bin keine böse Person. „Aber wieso soll ich ein Sexist sein? Ich bin doch Anarchist!”. Ich war unsicher, nervös, versuchte mich zu rechtfertigen. Ich glaubte an Befreiung und an den Kampf gegen Kapitalismus und Staat. Da sind doch auf der einen Seite jene, die Ungerechtigkeiten verteidigen und von ihnen profitieren, und auf der anderen Seite stehen wir, oder?

Nilou hält meine Hand während sie mir geduldig erklärt: “Ich sage nicht, dass du eine böse Person bist, ich sage, dass du sexistisch bist und Sexismus gibt es in vielen verschiedenen Formen – subtilen wie krassen. Du unterbrichst mich, wenn ich rede. Du achtest mehr darauf, was Männer sagen. Letztens, als ich mit dir und Mike im Café saß, war es so, als ob du und Mike allein ein Gespräch führen würden – und ich nur zum Zuschauen da sei. Ich habe versucht mich einzuklinken, aber ihr habt mich nur angeschaut, und seit dann wieder in euer Gespräch verfallen. Die Männer in unserer Gruppe halten Augenkontakt und sie verhalten sich so, als ob keine Frauen anwesend wären. Die (Lern)Gruppe ist ein Forum für Männer geworden, wo es nur um dieses oder jenes Buch geht – so als ob sie alles wüssten und nur den Rest von uns zu unterrichten bräuchten.

Für lange Zeit dachte ich, dass es nur an mir läge, dass das, was ich zu sagen hatte, nicht konstruktiv oder aufregend wäre. Dass ich möglicherweise meinen Ansatz ändern sollte oder übertrieben auf die Situation reagierte, dass alles vielleicht nur ein Hirngespinst sei und ich selbst darüber hinweg kommen müsste. Aber dann hab ich gesehen, dass es anderen Frauen in der Gruppe genauso ging, immer und immer wieder. Ich will dich nicht für all das beschuldigen, aber du bist ein wichtiger Teil der Gruppe und du bist Teil dieser Dynamik.

Dieses Gespräch hat mein Leben verändert, und um die darin enthaltene Herausforderung soll es in diesem Essay gehen. Dieser Essay ist für weiße, bürgerlich sozialisierte Männer, die als Männer in linken/anarchistischen Kämpfen aktiv sind. Ich will den Fokus auf meine Erfahrungen im Umgang mit dem Thema Sexismus und Anti-Sexismus aus einer emotionalen und psychologischen Perspektive legen. Ich wähle diesen Fokus, weil es eine persönliche Herausforderung ist. Dieser Ansatz hat sich in der praktischen Arbeit mit Männern gegen Sexismus als effektiv gezeigt. Frauen betonen immer wieder, dass diese Aspekte nicht vergessen werden dürfen. Rona Fernandez vom Youth Empowernment Center in Oakland schreibt:

“Ermutige Männer/genderprivilegierte Menschen, die Rolle von Emotionen (oder deren Mangel) in ihrer Erfahrung von Privilegiertheit zu untersuchen. Ich betone das, weil ich denke, dass auch Männer / genderprivilegierte Menschen unter dem Patriarchat leiden und eine der unmenschlichsten Formen davon ist die Unmöglichkeit bzwl. Schwierigkeit, Gefühle auszudrücken.”

Clara Bayard von Anti-Racism for Global Justice bringt es treffend auf den Punkt, wenn sie mit folgenden Worten privilegierte Aktivisten anspricht: “Es hat Jahre des Lernens und harte Arbeit gebraucht um deine politische Analyse zu entwickeln. Warum glaubst du ein emotionales Verständnis soll einfach so daherkommen, es braucht genauso Arbeit.”

Dieser Essay basiert auf Arbeiten von Frauen, Women of Color im Besonderen, die über das Patriarchat und über Sexismus in linken/anarchistischen Bewegungen schreiben und dagegen aktiv sind. Die Arbeiten von Barbara Smith, Gloria Anzaldua, Ella Baker, Patricia Hill Collins, Elizabeth `Betita` Martinez, bell hooks und vielen anderen bieten politische Grundlagen, Visionen und Strategien für jene Auseinandersetzungen, die gender-privilegierte weiße Männer leisten sollten. Zusätzlich gibt es mehr und mehr gender-privilegierte Männer in der Bewegung, die daran arbeiten, die männliche Vorherrschaft abzubauen. Es gibt Tausende von uns, die anerkennen, dass das Patriarchat existiert, dass wir darin Privilegien haben, dass Sexismus die Bewegung untergräbt, dass Frauen, Transgender und Queers immer wieder darauf hingewiesen haben, als sie sagten: “Ihr müsst miteinander reden, euch selbst herausfordern und herausfinden was ihr tun könnt.” Und dennoch bilden in unserer Bewegung jene weißen Männer die Überzahl, die zwar zustimmen, dass Sexismus in der Gesellschaft verbreitet ist, ihre persönliche Involvierung darin aber nicht erkennen.

Lisa Sousa vom IMC San Francisco und AK Press erzählte mir über Reaktionen von Männern bei Sexismus und Gender Diskussionen in politischen Zusammenhängen: “Wir werden alle unterdrückt”, “Wir sollten über Klasse reden”, “Du verwendest gender nur, um bestimmte Personen angreifen zu können”. Als sie das Thema ansprach, dass Frauen jene Gruppen mit mehr Männern relativ schnell wieder verlassen, waren die Antworten: “Männer verschwinden ebenso, es sind nicht mehr Frauen, die wieder gehen, als Männer. Die Leute gehen einfach wieder, so ist das in unseren Zusammenhängen”, “ Wir müssen nur mehr Frauen rekrutieren. Wenn Frauen wieder gehen, gibt es auch noch mehr, von wo sie kommen”.

Diese Kommentare sind all zu vertraut. Obwohl es verführerisch wäre, mich einfach von diesen Männern zu distanzieren, ist es wichtig, dass ich mich an die Zeit erinnere, als ich selbst solche Antworten gab. Für mich als jemand, der an die Bewegung und kollektive Befreiung glaubt, ist es wichtig mit den Leuten in der Bewegung eine Verbindung aufzubauen. Als eine Person mit dem Privileg mit anderen Privilegierten aktiv zu sein, bedeutet das zu lernen mich selbst zu schätzen und mich auch in anderen zu sehen die ich viel lieber nur anprangern würde. Es bedeutet auch mit meinen eigenen Erfahrungen ehrlich zu sein. Wenn ich an das Gespräch mit Nilou zurückdenke und an ihre Erklärung, wie Sexismus funktioniert, erinnere ich mich, dass ich versucht habe nicht zu zumachen, sondern zu verstehen. Das Wort “aber” hat sich immer wieder in meinem Kopf wiederholt, gefolgt von “aber es war ein Missverständnis, ich habs nicht so gemeint, ich wusste nicht, dass du so gefühlt hast, ich habe nicht versucht, das zu tun, ich würde doch gerne sehen, dass du aktiver bist, ich verstehe es nicht, niemand hat gesagt, sie wollen nicht hören, was du zu sagen hast, wir glauben doch alle an Gleichberechtigung, ich liebe dich und würde nie etwas tun, um dich zu verletzen, es waren die Umstände und kein Sexismus, ich weiß nicht was ich tun soll”. Selbst wenn ich mich nach 10 Jahren daran erinnere, ist es erstaunlich, wie oft dieselbe Liste von “aber” durch mein Hirn läuft. Ich bin diesen “anderen” Männern ähnlicher, als ich es mir zugestehen will.

Nilou hat unzählige Stunden damit verbracht mit mir über Sexismus zu reden. Es war unglaublich schwierig. Mein Politikverständnis hatte einen klar definierten dualistischen Rahmen von gut und schlecht. Wenn es stimmte, dass ich sexistisch sei, dann bedeutete das, dass mein Selbstverständnis in Frage gestellt würde und sich mein Politikverständnis verändern müsste. Rückblickend war diese Auseinandersetzung ein unglaublich wichtiger Moment in meinem Werden, zu der Zeit hatte es sich aber beschissen angefühlt.

Zwei Wochen danach, beim Treffen unserer Gruppe, hat Nilou ihre Hand gehoben. “In dieser Gruppe kommt Sexismus vor”. Sie zählt die Beispiele auf, die sie mir vorher schon gesagt hat. Die defensive Reaktion, die ich bei mir selbst schon gespürt hatte, war nun durch die fünf anderen Männern im Raum noch verstärkt. Andere Frauen begannen das Wort zu ergreifen. Sie hatten ebenso dieselben Dynamiken abbekommen und genug davon, diese zu ertragen. Die Männer wären schockiert und versuchten sich zu verteidigen; wir begannen aufzulisten, warum alle Vorwürfe einfach nur Missverständnisse oder falsche Wahrnehmungen seien. In aller Aufrichtigkeit sagten wir: “Aber wir wollen doch alle die Revolution”.

Nach dem Treffen bat mich die Frau, die am längsten in der Gruppe war, sitzen zu bleiben. April war schon seit über einem Jahr in der United Anarchist Front und auch sie zählte mir unzählige Beispiele von sexistischem Verhalten auf. Männer in der Gruppe trauten ihr nicht zu, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn sie noch nicht so lange in der Gruppe waren wie sie. Sie wurde nicht nach Informationen über die Gruppe gefragt, noch wurde ihre Meinung zu politischen Fragen eingeholt. Andere haben sich unserem Gespräch angeschlossen und wieder begannen Männer, die Sexismus-Vorwürfe zu hinterfragen. April brachte erneut ein Beispiel an, das sie mir bereits zuvor verständlich erklärt hat und Männer haben es wieder als Missverständnis abgetan. Ein paar Minuten später habe ich dasselbe Beispiel noch mal eingebracht und diesmal kam Zustimmung von anderen Männern, dass es ja vielleicht in diesem Fall tatsächlich Sexismus war. April sprach dies sofort an, dabei hatte ich noch nicht mal richtig realisiert, was passiert war. Ich schaute April an, als sie es erklärte. Ihre eigenen Worte, aber durch meinen Mund gesprochen, wurden gehört und ernst genommen. Da war es. Ich wollte nicht wirklich wahrhaben, dass wir sexistisch waren, aber da habe ich es endlich gesehen. Es hat sich furchtbar angefühlt, wie ein Tritt in den Bauch. Nilou und April versuchten verzweifelt uns dazu zu bringen, einzusehen, dass wir ein Problem in der Gruppe hatten. Aber wie konnte das passieren, ohne dass es meine Absicht war? Ich hatte Angst noch irgendetwas zu sagen.

Zwei Monate später saß ich in einer Männerrunde, schweigend. Wir wussten nicht, worüber wir reden sollten. Genauer gesagt waren wir nervös, ängstlich, herablassend und hatten keine Energie dafür aufgewendet, eine sinnvolle Diskussion über Sexismus zu führen. Nilou und April hatten vorgeschlagen, einen Tag über Sexismus zu reden und in getrennten Runden damit zu beginnen. “Was reden die Frauen”, haben wir uns gefragt. Als sich die Gruppe wieder zusammenfand, hat die Diskussion schnell dazu geführt, dass Frauen ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen verteidigen mussten. Ich habe mich furchtbar gefühlt, ich habe damit gekämpft, zu glauben, was ich hörte. Ich war vollkommen verunsichert, wie wir weitermachen sollten.

Verschiedene Leute unterschiedlicher Gender sind verfrüht gegangen, weinend, desillusioniert und von Machtlosigkeit überwältigt. Meine Mutter hatte einen Teil der Diskussion beobachtet und bat um eine Wortmeldung. “Ihr redet alle über enorme Themen, die sehr schwierig sind. Es macht mich glücklich zu sehen, dass ihr bereits so jung ernsthaft darüber redet. Es zeigt, dass ihr wirklich an das glaubt, wofür ihr kämpft. Und es ist ein Gespräch, das nicht mit einem Tag erledigt ist.” Ich konnte die Schwere im Raum fühlen als wir uns ansahen, viele hatten Tränen in den Augen. Es war klar, dass Sexismus zu hinterfragen viel mehr ist als zu lernen in Gruppendiskussionen Augenkontakt mit Frauen herzustellen. Es ist das Infragestellen eines Machtsystem, das auf der politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen, und psychologischen Ebene operiert. Meine verinnerlichte Überlegenheit war nur die Spitze eines Eisberges, bestehend aus Ausbeutung und Unterdrückung.

Teil II: “In welcher historischen Klasse bin ich?”

„Weist du in welcher Klasse[1] du bist?“ In den sieben Jahren College wurde mir, einem weißen, bürgerlichen und männlichen Studierenden der Woman und Ethnic Studies[2] diese Frage oft gestellt. Beim Betreten eines Kurses über die Geschichte von schwarzen Frauen, bot mir jemand Hilfestellung an, herauszufinden, wo mein Kurs stattfindet.

Ich verstand, warum ich gefragt wurde und auch, dass sich die Frage nicht nur um eine Klasse in einem Raum dreht, sondern um eine soziale Kategorie in einer weiß dominierten rassistischen, patriarchalen, heterosexistischen, kapitalistischen Gesellschaft, die fest dazu entschlossen ist, ihre Kontrolle aufrechtzuerhalten. Ich wusste aus welcher Klasse ich war, woher ich kam und, dass meine Beziehung zu Women´s Studies und Ethnic Studies eine komplizierte war. Ich wusste, dass mich einige nicht in diesen Kursen wollten und auch, dass andere sich durch meine Anwesenheit unwohl fühlten. Und viele Lehrende und einige StudentInnen sagten mir, sie seien froh, dass ich hier bin. Es hat mir geholfen, zu sehen wie komplex diese Kämpfe sind und dass es keine einfachen Antworten gibt.

Ich ging für vier Jahre ins Community College und dann für drei nach San Francisco State. Die meisten meiner LehrerInnen waren Frauen und People of Color[3]. Ich bin jedoch in einem ziemlich abgeschlossenen Viertel aufgewachsen, mit nur wenigen Rollenvorbildern, Autoritätspersonen, MentorInnen und LehrerInnen, die People of Color waren.

Was ich im College über Women of Color, Feminismus, Schwarze Befreiungskämpfe, Chicana/o Geschichte, Kolonialismus aus der Perspektive einer indigenen Geschichte, Gewerkschaftsgeschichte, Anti-Rassismus aus der Perspektive von ImmigrantInnen und flüchtenden Frauen gelernt habe, hatte einen tiefen Einfluss auf mich. People of Color und besonders Women of Color als Lehrende und Begleitende zu haben, war unglaublich wichtig für mein Werden, vor allem auf einer psychologischen Ebene, was mir damals nicht unbedingt so bewusst war. People of Color und Frauen mit progressiven/linken/radikalen Ansätzen, die meine Schulbildung prägten, bewirkten eine subversive Verschiebung in den Machtbeziehungen, was nicht im Lehrplan hervorgehoben wurde, aber zentral für die gesamte Ausbildung waren.

Die Lernerfahrung in einem von Frauen und People of Color geprägten Umfeld hinterließ einen tiefen Eindruck bei mir, weil es das erste Mal war, dass ich mich in einer Situation befand, wo ich in der Minderheit bezogen auf race oder gender war. Plötzlich waren race und gender nicht mehr ein Thema unter vielen anderen, sondern ein zentraler Aspekt dafür, wie andere die Welt verstehen und erfahren. Die Frage, an die ich selbst oft im Stillen dachte, „warum müsst ihr immer über race und gender reden?“, wurde auf den Kopf gestellt: „Wie kannst du nicht ständig über race und gender nachdenken?“

Mit der Zeit hatte ich eine Strategie fürs College entwickelt. In den ersten Unterrichtswochen verhielt ich mich ziemlich ruhig, versuchte aufmerksam zuzuhören. Damit die Leute wussten, woher ich kam, würde ich in der ersten Woche etwas sagen, um mich von weißer Vorherrschaft und Patriarchat (manchmal Kapitalismus) als unterdrückende Systeme, von denen ich selbst profitierte, abzugrenzen. Meistens waren Schock, Aufregung oder Erleichterung die Reaktionen darauf. Durch Zuhören und Offenheit gegenüber neuem Wissen und neuen Erzählungen versuchte ich Vertrauen aufzubauen und so nahm ich mit der Zeit mehr an den Diskussionen teil. Obwohl diese Strategie antisexistische Ziele beinhaltete, ging es auch darum, mich in einer bestimmten Art zu präsentieren.

Der andere Teil der Strategie war, in weiß und männlich dominierten Kursen, wie beispielsweise Politikwissenschaft, aktiv teilzunehmen, Fragen zu stellen und andere Perspektiven einzubringen. People of Color und Frauen, mit denen ich zusammen gearbeitet habe, haben mir klar vermittelt, dass ich ihrer Meinung nach eine Verantwortung dazu habe. „Sie erwarten das von uns (People of Color/Frauen) und tun uns dann als aggressiv, emotional und/oder einem Opfermodus verhaftet ab. Du musst deine Privilegien nutzen, um von den Weißen und Männern gehört zu werden.“ Das Ziel war es dabei nicht unbedingt, die Meinung der Lehrenden zu verändern, sondern einen Raum für eine kritische Auseinandersetzung über race, class und gender mit anderen Studierenden zu öffnen, die meist männlich und weiß waren. Das war eine wichtige Lernerfahrung für mich, oft kam ich kalt, zornig, selbstgerecht oder unsicher rüber, was nicht gerade hilfreich war. Das wäre vielleicht eine sinnvolle Taktik, wenn es mein Ziel ist, Männer und Weiße anzuschreien, um meine eigene Schuld und Scham dafür zu mindern, weiß und männlich zu sein. Aber wenn es mein Ziel ist, mit Leuten zu arbeiten, damit sie Anti-Rassismus und Feminismus ernst nehmen, dann muss ich ehrlicher mit mir selbst sein und brauche einen reflektierteren Zugang.

Ich bin im Glauben groß geworden, dass ich als einzelnes Individuum auf einem linearen Pfad des Fortschritts ohne Vergangenheit lebe. Geschichte war für mich eine Ansammlung von Daten und Ereignissen, die zwar interessant zu wissen waren, aber nix oder kaum etwas mit meinem Leben zu tun hatten. Ich sah mich einfach als Person, die ihre eigenen Sachen verfolgte. Dann habe ich gelernt, dass weiß-sein, männlich-sein, bürgerlich-sein, gesund-sein, meist heterosexuell-sein und einen US-Pass zu haben, nicht nur bedeutet, gewisse Privilegien zu haben, sondern auch historisch verwurzelt zu sein. Ich bin Teil sozialer Kategorien – weiß, männlich, hetero, aus der Mittelschicht. Das sind alles Gruppen, die eine Geschichte haben und auch von Geschichte geformt wurden. Teil dieser Gruppen zu sein bedeutet unter anderem auch als normal erachtet zu werden, als das Maß, an dem alle anderen gemessen werden. Zu meinem Bild nur „meine eigene Person“ zu sein, kamen nun jene Bilder von Sklavenschiffen, verbrannten indigenen Gemeinschaften, zerstörten Familien, Gewalt gegen Frauen, weißen Männern der Oberschicht die ärmere weiße Männer dazu benutzen, weiße Frauen, People of Color und die Erde zu kolonisieren.

Ich erinnere mich daran, wie ich in einer Klasse über afro-amerikanische Frauengeschichte saß, als eine von zwei weißen Personen und einer von 2 Männern. Die anderen 15 Personen waren schwarze Frauen und ich war der einzige weiße Mann. Wir wurden über die Sklaverei unterrichtet, Ida B. Wells‘ Anti-Lynch Kampagne und die systematische Vergewaltigung von versklavten afrikanischen Frauen durch weiße Sklavenbesitzer – Millionen von Vergewaltigungen, durch das Gesetz sanktioniert und gedeckt. Gleichzeitig wurden hunderte schwarze Männer von weißen Männern gelyncht, mit dem Vorwand weiße Frauen vor schwarzen Vergewaltigern zu schützen. Ich saß mit meinem Kopf gesenkt da und fühlte wie die Geschichte in meinen betäubten Bauch kroch, während sich meine Augen mit Tränen füllten. Wer waren diese weißen Männer und was haben sie über sich selbst gedacht? Ich hatte Angst davor, in die Gesichter der schwarzen Frauen im Raum zu schauen. „Während es eine Vermischung der verschiedenen Herkünfte aufgrund von Liebe gibt“, sagte die ProfessorIn „haben institutionalisierte Vergewaltigungen über Generationen dazu geführt, dass es bei unseren Leuten so viele Schattierungen von Schwarz gibt.“ Wer bin ich und wie denke ich über mich selbst?

Teil III: „Dieser Kampf ist meiner“

„Ich habe nicht die blasseste Idee, welche revolutionäre Rolle weiße heterosexuelle Männer erfüllen könnten, da sie die Verkörperung erworbener reaktionärer Macht und Interessen sind“. – Robin Morgan in der Einleitung von Sisterhood is Powerful

„Stelle dich deiner Angst / die Angst bist du / du kannst nicht davon laufen / du kannst dich nicht verstecken / die Angst bist du / ist es wahr, dass der Schaden, den du bringst, größer ist als das Gute, das du tust / stelle dich deiner Angst / umarme deine Angst / der Schmerz im Inneren ist das wahre Innere / lass es raus / wenn die Sozialisierung weg ist / was bleibt über / die Angst ist realer als die Hoffnung, die du schaffst / wohin willst du gehen / was willst du machen / lass alles gehen, weil es bereits du ist / kann ich voran / kann ich voran / mach alles auf / du weißt, es stimmt alles / die Hoffnung bist du“ – white boy emo-hardcore

Es gab und gibt Zeiten, in denen ich mich selbst hasse, schuldig und ängstlich fühle. Ich weiß in meinem Herzen, dass ich eine Rolle in emanzipatorischen Prozessen gespielt habe und ich weiß aus der Praxis, dass es sinnvolle Sachen gibt, die ich tun kann. Aber trotzdem verfolgt mich die Frage, ob ich mich nicht einfach nur selber verarsche. Bilde ich mir nur ein, mehr zu bewegen, oder bin ich vielmehr problematisch. Es leuchtet ein, dass Robin Morgan´s Zitat sehr sinnvoll ist, um darüber nachzudenken, jedoch nicht um dabei stecken zu bleiben. Ich bin im Glauben groß geworden, zu allem befugt zu sein. So als ob ich überall hingehen kann, wo immer ich hin will oder gebraucht werde, und alles machen kann.

Das Patriarchat und der Heterosexismus haben mir auch – auf subtile und auf heftige Weise – beigebracht zu glauben, dass ich einen Anspruch auf den Körper von Frauen hätte, einen Anspruch auf Raum hätte und ich meine Ideen und Gedanken einfach einbringen könnte, ohne in Betracht zu ziehen, wie es anderen damit ging. Meine Sozialisation ist von jener der meisten anderen Menschen sehr verschieden, denen beigebracht wird, die Klappe zu halten, ihre Meinung für sich zu behalten, verstecken zu müssen wer sie wirklich sind, aus dem Weg zu gehen und niemals vergessen zu dürfen wie glücklich sie sein sollen überhaupt toleriert zu werden. Ich glaube, es ist sehr hilfreich, nicht immer anzunehmen du würdest gebraucht, zu lernen Raum und Macht zu teilen, mit anderen zusammenzuarbeiten und dabei herauszufinden welche Rolle du spielen kannst und sollst. Wie selten Männer miteinander über diese Themen reden und sich gegenseitig in diesem Prozess unterstützen ist bezeichnend aber nicht gerade hilfreich.

Laura Close, Aktivistin bei Students for Unity in Portland, ist darauf in ihrem Essay „Männer in der Bewegung“ eingegangen. Sie schreibt:

„Jeden Tag wachen junge Männer auf und entscheiden sich dafür, Aktivisten zu werden. Oft stoßen sie dabei auf Diskussionen über männliche Privilegien, die sie befremden und zum Schweigen bringen, ohne dass sie jemensch dabei unterstützt, ihren Kopf zu dekolonialisieren. Überlege doch wie es wäre, wenn erfahrenere Männer mit den neuen mal auf einen Kaffee gehen würden und über ihre eigenen Erfahrungen als Mann in der Bewegung reden. Rede darüber was du gelernt hast! Überlege dir, was es für Männer bedeuten würde, wenn sie in ihrer Entwicklung zu Verbündeten, Unterstützung bekommen würden.“

Sie ruft dazu auf, dass Männer andere Männer unterstützen, um in einer anti-sexistischen Bewegung aktiv zu werden.

Ich wusste, dass sie recht hatte. Aber der Gedanke daran, so etwas wirklich zu tun, machte mich nervös. Sicher, ich hatte genügend gender-privilegierte Freunde. Aber daraus einen politischen Anspruch zu machen und Beziehungen zu entwickeln, in denen ich mich bezüglich meiner eigenen sexistischen Auseinandersetzungen öffnen würde war Furcht einflößend. Vor allem deshalb, weil ich zwar damit umgehen konnte, das Patriarchat zu kritisieren und ab und zu andere Männer auf ihre Sexismen anzusprechen. Aber ehrlich in Bezug auf meine eigenen Sexismen zu sein, politische Analyse/Praktiken mit meinem eigenen emotionalen/psychologischen Prozess zu verbinden, angreifbar zu sein?

Pause. Angreifbar durch was? Erinnert ihr euch daran als ich sagte, in den Kursen zu Women Studies habe ich mich als Gegner des Patriarchats, weißer Vorherrschaft und manchmal des Kapitalismus, deklariert? Das Bewusstsein über Feminismus, ganz zu Schweigen davon, darin engagiert zu sein, war bei gender-privilegierten Männern im College so gering, dass es bereits sehr weit voraus wirkte, ein feministisches Buch zu lesen und zu sagen „ich erkenne, dass Sexismus existiert“. Auch wenn das Bewusstsein und Engagement unter AktivistInnen generell höher ist, so viel höher ist es auch wieder nicht. Es gibt zwei große Themen, die sich durch die meiste Zeit meines politischen Lebens gezogen haben. Meinem eigenen Verstricktsein entgegenzuwirken und meine tiefe Angst davor, nicht mal in die Nähe meiner Ansprüchen zu kommen. Es ist viel einfacher für mich, in der Klasse, beim Schreiben oder auf Plena das Patriarchat zu kritisieren, als in meinen persönlichen Beziehungen mit FreundInnen, der Familie oder PartnerInnen feministische Inhalte zu praktizieren. Das ist speziell dann schwierig, wenn politisch aktive Männer, wie ich, sich so wenig Zeit dafür nehmen, miteinander darüber zu reden.

Was fürchte ich mich zuzugeben? Dass ich jeden Tag damit kämpfe, Stimmen, die ich Frauen zuordne, auch wirklich zuzuhören. Ich weiß, dass meine Gedanken schneller weiter wandern, ich weiß, dass ich automatisch eine Meinung von einem Mann ernster nehme. Ich weiß, dass ich automatisch die Leute nach Status hierarchisiere (wie lange sie schon aktiv sind, in welchen Gruppen sie waren, was sie geschrieben haben und wo es publiziert wurde, welche FreundInnen sie haben) wenn ich in einen Raum mit vielen AktivistInnen komme. Ich positioniere mich darin und spüre vor allem mit anderen Männern ein Konkurrenzdenken. Mit jenen Leuten, die ich als Frauen wahrnehme, wende ich denselben Maßstab an, nur drängt sich da noch sexuelle Attraktivität in mein Hetero-Hirn. Was sind gesunde sexuelle Anziehungen und Bedürfnisse und wie stehen diese in Beziehung bzw. unterstützen meine systematische Sexualisierung von Frauen? Dies wird verstärkt durch eine alltägliche Realität, in der Frauen als stimmlose Körper dargestellt werden, die sich den Wünschen heterosexueller Männer ergeben – wir wissen das. Aber was bedeutet das für meine Kommunikation mit Aktivistinnen? Wie zeigt sich das darin, wie ich liebe, wie ich Liebe anstrebe, sie ausdrücke oder über sie nachdenke? Ich rede nicht darüber, ob ich meine Partnerin lecke oder „Ich liebe dich“ sage. Ich rede darüber, ob ich Gleichberechtigung in unserer Beziehung über den Wunsch, gut miteinander auszukommen, hinaus anstrebe.

Es ist eine Tatsache, dass meine Partnerinnen in unsere Beziehungen viel mehr emotionale und finanzielle Unterstützung eingebracht haben als ich. Ich rede davon, bei einem Mann fast nie mit meinen Gedanken abzuschweifen, weil ich ihn in einen sexuellen Kontext setze.

Wiederholt habe ich mich dabei ertappt, an Sex zu denken, während ich Aktivistinnen oder meinen Freundinnen beim Reden zuhörte. Ich bin Feuer und Flamme für Verliebtsein, gesunde sexuelle Bedürfnisse und pro-sex Ansätze, aber dass ist es nicht, worüber ich rede. Ich rede von Machtbeziehungen und Ansprüche von Frauen, die durch mein hetero-Verlangen marginalisiert werden. Ich wünschte, ich würde nicht regelmäßig in die Defensive gehen, aber ich mach’s. Ich werde frustriert darüber, wie Macht zwischen mir und meiner Partnerin wirkt und beende Gespräche. Ich gehe in Verteidigung, wenn es darum geht, wie die Welt uns und unsere Dynamiken beeinflusst. Ich weiß, es gibt Zeiten, in denen ich sage, „ok, ich denk drüber nach“, während ich in Wirklichkeit denke, „lass mich in Ruhe“.

Das hier ist keine Beichte, damit mir vergeben wird, sondern eine permanente Auseinandersetzung darüber, wie tief ich von patriarchalen Strukturen und Unterdrückungsmechanismen geprägt bin. Das Patriarchat zerfetzt mich. Ich habe so viele Ängste, ob ich auch fähig bin, eine gesunde Liebesbeziehung zu haben. Ängste darüber, ob ich wirklich ehrlich mit mir selbst bin, damit ich mich öffnen kann um mit anderen zu teilen. Die Wunden des Patriarchats kann ich an jeder Person sehen mit der ich zu tun habe, wenn ich mich dazu zwinge und wirklich schaue und mir Zeit nehme darüber nachzudenken. Das macht mich traurig und voller Zorn. Bell hooks schreibt in ihrem Buch All About Love, dass Liebe unmöglich ist wo der Wille zu dominieren vorhanden ist. Kann ich echt lieben? Ich will es glauben. Ich will an eine politische Praxis für gender-privilegierte Männer in Opposition zum Patriarchat glauben.

Ich glaube sehr wohl, dass, wenn wir uns mit Unterdrückung auseinandersetzen, wenn wir unser Engagement ernst nehmen, dass wir dann unsere Humanität aktualisieren und ausdrücken. Es gibt Momente, Erfahrungen und Ereignisse, wo ich sehe, dass patriarchale Strukturen von allen Gender bekämpft werden. Das zeigt, dass wir es können. Ich glaube, dass es eine Lebensaufgabe ist und in ihrem Kern ist es ein Kampf für unsere Leben. Und dabei bemerken wir, dass unsere Liebe, Schönheit, Kreativität, Hingabe, Würde und Fähigkeit selbst angesichts dieser Unterdrückungssysteme wächst. Wir können das.

Post Script: „Wir müssen uns bewegen, um die Auseinandersetzung echt zu machen“

Es ist notwendig, sich mit schwierigen emotionalen und psychologischen Themen auseinanderzusetzen. Dennoch gibt es noch unendlich viele konkrete Schritte, die wir machen können und müssen, um männliche Vorherrschaft zu bekämpfen. Eine palästinensische Aktivistin hat mir geschrieben, „einige Dinge, die gender-privilegierte Menschen tun können: Auf Treffen Protokolle schreiben, telefonieren, Räume für Treffen organisieren, sich um Kinder kümmern, Kopieren gehen und andere weniger glamouröse Arbeiten übernehmen. Frauen und gender-diskriminierte Menschen in Gruppen ermuntern, Rollen zu übernehmen die normalerweise männlich dominiert sind (z.b. Taktiken, MediensprecherIn). Frage einzelne Frauen, ob sie so etwas machen wollen und erkläre warum du glaubst, sie können das gut. Richte deine Aufmerksamkeit auch darauf, wem du zuhörst und schau, ob du Machtspiele spielst“.

Sie ist eine von vielen Frauen und gender-diskriminierten Personen, die ganz klare und konkrete Dinge anführt, die genderprivilegierte Personen machen können, um Sexismus zu bekämpfen. Es gibt ausreichend Vorrat an Arbeit, die getan werden muss. Das größere Thema für mich war jedoch die Frage, was es braucht, damit ich das auch tue, es zu meiner Priorität mache und durchziehe? Zusätzlich zu dem oben schon besprochenen, dass Männer miteinander über ihre Erfahrungen reden sollten, müssen wir uns auch verantwortlich fühlen, das zu bewerkstelligen. Dabei gibt es viele schwere emotionale Themen, die aufkommen werden und darum ist es wichtig, uns gegenseitig zu unterstützen, Schritt für Schritt, damit wir nicht verloren gehen. Wir müssen uns fragen, „wie unterstützt unsere Arbeit Frauen dabei, eine aktivere Rolle einzunehmen?“ „Was mach ich, um Macht zu teilen?“, „Wie öffne ich mich, um Feedback von gender-diskriminierten Personen wahrzunehmen?“ Jede dieser Fragen eröffnet weitere Möglichkeiten um weiterzukommen. Privilegien zu erkennen und herauszufordern ist ein notwendiger Teil unserer Arbeit, aber es ist nicht genug. Männer die mit anderen Männern gemeinsam die männliche Vorherrschaft bekämpfen ist nur eine von vielen Strategien, die notwendig sind, um eine von Frauen geleitete, multiracial, anti-rassistische, feministische, queere und trans, proletarische und anti-kapitalistische emanzipatorische Bewegung aufzubauen. Wir wissen, dass Sexismus gegen den Aufbau von Bewegungen operiert. Die Frage ist, was wir tun wollen, um eine emanzipatorische Bewegung aufzubauen und dabei unsere Fähigkeiten, uns selbst und andere zu lieben, auszubauen.

Viel Liebe an die Redaktion für diesen Essay:

Clare Bayard, Rachel Luft, J.C . Callender, Nilou Mostoufi, April Sullivan, Michelle O’Brien, Elizabeth ‘Betita’ Martinez, Sharon Martinas, Roxanne Dunbar-Ortiz, Rahula Janowski and Chris Dixon

Lesetipps:

Patricia Hill Collins, Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness and the Politics of Empowerment

bell hooks, Feminist Theory from Margin to Center

Paul Kivel, Men’s Work: How to Stop the Violence that Tears Our Lives Apart

Maria Mies, Patriarchy and Accumulation on a World Scale: women in the international division of labour

Barbara Smith, The Truth that Never Hurts: writings on race, gender and freedom

[1] Im engl. Original class: als Raum, bzw. Kurs/Klasse gemeint spielt aber auf die Klasse als soziale Kategorie an.

[2] Übersetzung: ethnic studies wurden als Kritik auf die Anthropologie, Orientalistik etc. eingeführt um die Geschichten und Geschichte, sowie die Kämpfe von People of Color zu lehren.

[3] ist ein positiv verwendeter Begriff, mit sich Menschen selbst bezeichnen, die für eine Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß gelten und wegen rassistischer Zuschreibungen („Sichtbarkeit“) alltäglichen, institutionellen und anderen Formen des Rassismus ausgesetzt sind. Der Begriff betont die gemeinsame Erfahrung von Menschen, oft als Minderheit rassistischen Bedingungen ausgesetzt zu sein.