Titel: Die autonome Emanzipation der Individuen ist die einzige Grundlage der klassenlosen Gesellschaft
AutorIn: Vaneigem, Raoul
Datum: 8. Januar 1979
Bemerkungen: Erschienen in: Edition Belladonna

1. Der Wille zur Macht ist die Umkehrung des Willens zum Leben

Die Entdeckung des Individuums fällt mit seinem Untergang zusammen. Das Individuum ist die schönste Eroberung der Bourgeoisie: im letzten Stadium der Unmenschlichkeit ist es der erste Entwurf einer wirklichen Menschlichkeit. Während des sozialen Auseinanderplatzens, das auf die Geschlossenheit der Stammes-, Theokratie-, Feudal-, Despotismus- oder Monarchie-Regime folgt, blühen sie im Bewußtsein auf: diese unterwürfigen Kreaturen des Syphiliserregers von Nazareth, des Bandwurms von Mekka, der buddhistischen Krätzmilbe, die aus dem religiösen Obskurantismus gerissen werden, um zum Elend der Aufklärung zu gelangen. Sie stoßen die göttliche Blähung aus, die ihnen den Bauch verstopfen, um sich den historischen Anschein eines Bürgers, eines Erzeugers, eines Denkers, eines Parteiaktivisten, eines verantwortungsbewußten Proletariers zu geben.

So entsteht im Wind des Zeitalters das abstrakte Individuum aus der Konkretisierung der Ware und seiner zunehmenden Ausscheidung zur Materialität. Den Kopf, eingeklemmt zwischen die Geburtszangen der Ideologie, läßt das Individuum die allgegenwärtige Trennung zwischen der Ökonomie und dem Leben in sein Fleisch eindringen. Seine innere Zerstückelung gibt die soziale Zerbröckelung wieder, und die Illusion seiner irdischen Macht erhebt es in den Himmel der Ware, während seine Proletarisierung in Wirklichkeit deren Hölle enthüllt.

Wenn es seine Persönlichkeit, seine unantastbare Subjektivität fordert, geschieht es wiederum mittels dieser Abstraktion, die den universellen Schatten des Tauschwerts darstellt. Das ideologische Individuum kann aus sich nichts schöpfen als eine Lebensunfähigkeit, die nunmehr weder die mythische Macht der Götter, noch die wirkliche Macht des Staates trösten oder stützen.

Die Mehrzahl der Menschen der vorindustriellen Epoche verfügte über eine relative und wirkliche Autonomie in der sozialen Abstraktion, die sie leugnete.

Unter der bürokratisch-bürgerlichen Klasse besitzen wir kaum mehr als eine abstrakte Autonomie, nichts anderes als die Autonomie der Ware, deren Verflüchtigung in dem Maße zunimmt, wie das Leben abnimmt.

Die Wunder der überall propagierten Arbeit hat die proletarische Unterschiedslosigkeit verallgemeinert und als Gegenwirkung, die Nostalgie der individuellen Kraft neu belebt. Aber die Zeit der Kondottiere ist vorbei. Der Faschismus, der Stalinismus, der Aktivismus haben einer Epoche die Totenglocke geläutet, wo die kleinen Leute in den letzten Schubladen ihrer Mittelmäßigkeit nach etwas wühlen, was es ihnen ermöglichte, sich mit einem Volk, mit einem Führer, mit einer Sache zu identifizieren. Der ökonomische Reflex ist so sehr fortgeschritten, daß der Kult der „großen Sachen", erkannt und benannt für alle Welt nichts anderes mehr ist als ein Werbetrick in der staatlichen Verpackungsabteilung.

Zu einer Zeit, wo die Staaten wie Trusts funktionieren, und ihre Oberhäupter wie Kaufhausangestellte beim Verkauf von Sonderangeboten, wie sollte sich der Wille nach Macht nicht die Zähne ausbeißen, an der hierarchischen Zurschaustellung, der Machtaufstapelung, welche der totalitäre Zerfall der Bürokratie bewirkt?

Als Spielzeug der individuellen Nichtigkeit kann der Wille nach Macht nicht länger verbergen, was er immer schon gewesen ist: das zur Konkurrenz der Ökonomie reduzierte Leben. Das Gesetz des Stärkeren und das Gesetz des Raffinierteren, die, wie man sagt, die Welt regieren, haben sich nicht geändert. Sie haben nur dieselbe Entwicklung erfahren wie die Arbeit, der Tausch, das Schuldbewußtsein; sie haben sich intellektualisiert. Wenn auch die Raffinesse des Kopfes nach und nach die brutale Kraft ersetzt, so entspringt sie doch weiterhin dem Gesetz des Stärkeren, da sie die Tyrannei des Tauschwerts ausdrückt.

Die Lüge der Intellektualität trifft das Individuum, dessen Leben sie in Bildern, Ideen, Rauch erschöpft und gleichzeitig die Gesellschaft, die sie in ein Kultursystem verwandelt. Und die Mißgriffe der proletarischen Emanzipation sind bei den gegenwärtigen Anschuldigungen gewiß nicht ausgenommen. Haben die Proletarier das Opfer ihrer Autonomie nicht doppelt bezahlt? Sie haben auf das, was ihnen an Leben übrig blieb, verzichtet, um sich in dem zu bestätigen, was ihnen an Macht übrig blieb, im kompensatorischen Affentheater des Machtwillens: Autorität in der Familie, Prestige des Männlichen, Heldentum des Aktivisten, nervöses Zucken des Obermackers. Sie haben die Koordination der Kämpfe und die Machtidee verwechselt, welche, in der Tat, einer Führungspartei das Opfer aller entgegenbrachte. Bei ihrer Wahl der Köpfe hat die Revolution ihren Körper in den Fabriken und auf den Barrikaden zurückgelassen. Das Nützlichkeitsdenken durch zwischengeschaltete Personen handelt nur auf Kosten der Freiheit.

Es ist die Veränderung des Lebenswillens in Machtwillen, die grausam macht. Diese Machtbeziehung nährt sich von der unaufhörlichen Frustration der verdrehten Vergnügen, anstatt daß die Kunst des Genießens sich von der Lust nährt, die aus sich selbst heraus und ohne Gegenleistung entsteht. Aus diesem Grund ist die Grausamkeit zur gewöhnlichen Schäbigkeit des Menschen ohne Eigenschaften geworden.

Die bürokratische Herrschaft hat aus dem Machtwillen eine Rivalität von Marionetten, eine Verschwörung von Komiteesmenschen, einen Machiavellismus von Pförtner gemacht. Die List des Strebers, die geschäftige Problemlösung, der individuelle Überlebenskniff sind zum uniformen Spiegel der neuen Warengesellschaften geworden. So endet, wie in sich selbst, der Geist einer Zivilisation von Handelsreisenden, welche die Ware überall dort hinstellen, wo die Ware sie hingestellt hat.

Während die kleinen Grausamkeiten des Überlebens die Illusion des Existierens aufrechterhalten, verweist der Zusammenbruch der traditionellen Arbeiterbewegung jeden auf sich selbst und auf seine Wahl: entweder die Auflösung in eine Intellektualität, die nur das letzte Stadium des Machtwillens ist, oder die Stärkung des Lebenswillens durch die Emanzipation der Vergnügen.

Dabei befürwortet die Geschichte die sich entdeckende Autonomie. Das Scheitern der Revolution hat niemals an einem Mangel an Organisation gelegen, sondern an der Ohnmacht, in die die Individuen, jede Organisation zurückgewiesen haben, die ihrem Lebenswillen fremd war. Das geringe Vertrauen der Proletarier in ihre Fähigkeit, das Proletariat abzuschaffen, ist nichts anderes als die Wirkung der intellektuellen Arbeit, deren Korrosion im alltäglichen Leben des Körpers jeder verfolgen kann.

Die Idee, daß wir von uns aus nichts können, hat uns mit gebundenen Händen und Füßen an die Macht der alten Welt ausgeliefert. Von dem Augenblick an, wo wir spüren werden, daß keine staatliche Macht das Aufsteigen der individuellen Vergnügungen eindämmen wird, wird das kollektive Aufbranden unsere jeweilige Entschlossenheit vereinen.

2. Unsere Wahl der Gesellschaft zeugt von einer individuellen Wahl zwischen dem Tod und der uneingeschränkten Ausbreitung unseres Verlangens zu leben.

Die Schöpfung begründet die allgemeine Selbstverwaltung, indem sie die Arbeit und die Hierarchie abschafft. Wenn das von den andern und sich selbst abgesonderte Individuum dazu neigt, keine andere Intelligenz als das Warenbewußtsein zu haben — das Feld der intellektuellen Funktion, die Fabrik der Kapitalarbeit —, dann leitet die Einheit der freien Genüsse die Schöpfung einer individuellen und gemeinsamen Einheit ein, welche das Ende der Ware in der Gesamtheit ihres sozialen und körperlichen Systems einschließt.

Mein Lebenswille, so zögernd er auch sein mag, ist dabei die Funktion zu widerrufen, welche die Ökonomie, im Mechanismus, der mich verneint, mir zuschreibt, im Namen der Gesellschaft und in meinem eigenen Namen. Schon grüßt das Lachen im Vorbeigehen die Chefs, die Autoritäten, die Stars, die Führer der Menschen aller Arten. Die Komödie, in der einer die Hierarchie tadelt und die Frauen wie Objekte behandelt, das Spektakel entlarvt und einigen Hunden Pfötchen gibt, die Passivität verspottet und niemals aus seiner neurotischen Muschel herauskommt, ist beständig. Die Angst des Obermackers, als armseliger Wicht zu enden, verleiht der alltäglichen Lächerlichkeit der Macht und der Gegenmacht ein unerschöpfliches Register von Drolligkeiten.

Die Autorität, die ein Individuum beansprucht, bemißt sich nach der Anzahl der Demütigungen, die es erlitten hat, sein Machtstreben kauft seine Ohnmacht am Genießen zurück. Wie soll man genießen, wenn man daran arbeiten muß, jene von oben herab zu behandeln, die man auf sein eigenes Niveau erniedrigt, wenn man sich immerzu schinden muß, um das Gesicht nicht zu verlieren, weil man dadurch das Leben verlieren würde? Jener hat sehr wohl den Ruhestand verdient, wo die Ernüchterung ihn zur Ausnutzung der bitteren Vergnügen der alten Welt treibt, zur Anpassung an die Kompensationen der Tugend und zum Eingeständnis, daß unter dem Strich die Wollüste, die sich bezahlen lassen, ebenso gut sind wie alle anderen.

Der kleine, von euch verspottete Staatsanwalt trampelt noch in euch herum, wenn ihr in allen Tönen verkündet, daß man autonom sein muß. Empfindet ihr am Ende nicht, daß der Mangel an Autonomie von der Manie abhängt, sich unaufhörlich zu messen, sich trotz allem zu programmieren, der Nachfrage zu gehorchen, sich dem Gesetz der Leistungskraft, der Pflicht des Versprechens, des Repräsentierens zu unterwerfen?

Nichts jedoch ist einfacher als die Perspektive umzukehren, sich dem Selbstgenuß hinzugeben, bis man die Sorge des Scheins nicht mehr hat, bis zur sozialen Vernichtung der alten Welt, sowie man ihre Vertreibung aus dem täglichen Leben unternommen hat. Die Leidenschaften haben in ihrer Entschlossenheit, bis auf den Grund ihrer Zweckfreiheit zu gehen, mehr Klarheit als alle taktischen und strategischen Lehren. Hier wird deutlich, daß die Autonomie nichts gemein hat mit diesem Selbstverständnis, in dem man das ist, was man besitzt; mit diesem Individualismus, wo man seine Entfremdung wie ein nicht abtretbares Gut fordert; mit diesem aneignendem und enteignendem Ich, das vom Größenwahn zur Unterschätzung schwingt, das von der Macht dessen, wodurch es verneint wird, zur Ohnmacht dessen, wodurch es bejaht wird, schaukelt.

Die Autonomie begründet die generalisierte Selbstverwaltung auf der Harmonie und der Emanzipation der Wünsche der einzelnen. Jede Machtbeziehung impliziert die Selbstverachtung, den eilig kompensierten Mangel, die Verkehrung in der im übrigen jeder sich lebt.

Die Trennung ist für den Todesreflex, was der Unterschied für das Leben ist. Je mehr sich der absolute Unterschied jedes Daseins als Gesamtheit der ihm eigenen Wünsche behauptet, desto stärker neigt die Trennung dazu, sich aufzulösen. Unsere Epoche irrt da kaum: denn während die Menschen auf die Anonymität der Objekte reduziert sind und sich mit einer abstrakten Individualität herausputzen, hat man niemals zuvor so sehr vom Recht auf Eigentümlichkeit gesprochen.

Der intellektualisierte Unterschied ist die letzte Trennung einer Welt, welche den authentisch gelebten Unterschied niemals geduldet hat. Eine Welt, wo die auf der Bühne des Alltags übernommenen Rollen einen solchen Lebensverlust mit sich ziehen, eine solche Frustration, daß die Kompensierung der Befreiungen sich dazu verdammt, die alten politischen, ästhetischen, geographischen, erotischen und kulinarischen Rassismen zusehens schneller zu reproduzieren und zu erneuern, indem sie, je nach dem Geist der Zeit, den Juden, den Schwarzen, den Roten, den Weißen, den Guten, den Schlechten, den Schönen, den Häßlichen, den Normalen und den Anormalen verurteilt und rehabilitiert. Und die sogenannten Revolutionäre hüten sich sehr wohl darin, eine Ausnahme zu bilden, mit ihren Ausschlüssen, ihren Beitritten, ihren Verrätern, ihren Stars, ihren Tadeln, ihren Radikalitätszeugnissen und ihren Volksgefängnissen.

Das komplementäre Produkt setzt der absurden Wut der Welt seinen Humanismus der charakterologischen Toleranz entgegen. Das ist die Personifizierung der Schnecken durch die Schale, das spontane Geständnis des „so bin ich, man wird nichts daran ändern." Als könnten die persönlichen Eigenheiten mit der Abgesondertheit des Charakters —, dieses aus der Unterdrückung der Wünsche geschmiedeten Panzers und Kleiderständers der Rollen — verschwimmen.

Jetzt, da die Geschichte der Ware zeigt, daß sie die umgekehrte Geschichte der individuellen Ausdehnung ist, werden wir die Eigentümlichkeit der Lebenswünsche anerkennen und zugeben, daß jedes Individuum ein Fall für sich ist, den man nicht auf Vergleiche, auf Maße, auf Definitionen reduzieren kann?

Sie erwarten zudem von dir, daß du genügend Individualität besitzt, um verkauft zu werden, und genügend Uniformität, um verkaufbar zu sein; damit du, da du für dich ohne Wert bist, nach den Zufällen des gesellschaftlichen Angebots und der Nachfrage schwankst.

Welche erschreckende Aussicht ist doch ein Leben, das sich nicht nach seinem Charakter, sondern in der überfülle seiner Wünsche vollzieht! Wenn die Meinung dich für sympathisch, schön, intelligent hält, wirst du dadurch besser leben? Wenn sie dich als schwachsinnig, häßlich und ohne Ehre einschätzt, wirst du dadurch schlechter leben? Wenn ja, so mußt du dich in der Tat um andere kümmern, da du durch sie existierst, da du ihnen gehörst, hast du ein Bedürfnis nach Verführung, nach Unterdrückung, nach Gehorsam, nach Flucht.

Wenn nicht, so laß die vorgefertigten Bilder deines Kindermädchens und deines schlechten Rufs an dir vorbeilaufen und sich verflüchtigen. Du brauchst dich von dem Augenblick an nicht mehr zu belügen, wo du das Interesse am Schein, an der Pose für Familie und Geschichte, an der Angst vor diesem Abglanz, der nur eine fremde Darstellung deiner selbst ist, verloren hast.

Hat die Meinung ihre Totschläger und Gefängnisse? Wenn wir damit beginnen werden, die inneren Gefängnisse und die hinterhältigen Totschläger des Über-Ichs zu stürzen, so werden die äußeren wie die Bastille fallen. Man erreicht alles, wenn man an nichts zweifelt.

Nichts gefällt mir besser als zu sehen, wie die Lebewesen und die Leidenschaften in mir und um mich herum miteinander in Einklang kommen. Ich strebe Beziehungen an, die sich ohne Bruch verknoten und lösen, dem launischen Rhythmus der Wünsche folgend, indem sie in völliger Freiheit den düsteren Gewohnheiten des Machtwillens entfliehen, ohne daß auch nur ein Hauch von Frustration, anläßlich der Abwesenheit eines lieben Wesens, Bitterkeit verbreite.

Jeder möge sich seine eigenen Genüsse und Ekel, seine Einverständnisse und seine Ablehnungen bewahren oder sie ändern, was keine große Rolle spielt, vorausgesetzt, die Üppigkeit des Lebens herrscht und nicht der Tod, den alle Trennungen mit sich führen. Und wenn alte Hemmungen die eine oder andere meiner Wahlen beeinflußt haben, so zwingt mich nicht, sie aufzudecken. Sie haben mich weder mit Haß, noch mit Angst oder Mangel erfüllt, diesen Gefühlen, welche eure Befehle und Aufforderungen sehr wohl hervorrufen könnten.

Ohne uneingeschränkte Autonomie gibt es keine Harmonie. Oh du mein Wollen, gib' mir eine Vielfalt von Wünschen und das Vergnügen, sie alle zu verwirklichen! Und die Revolution sei unser.

3. Die Autonomie kennt nur einen Befehl: alle zu zerstören. Die Ausdehnung des Ichs wird die internationale Revolution anfachen.

Die individuelle Verwirklichung kennt ihre Grenzen, aber erkennt keine davon an. Die Umkehrung der Perspektive löst in jedem von uns den zersetzenden Nebel der Arbeit und des Zwangs auf. Indem er durch List, Ungezwungenheit und Gewalt der ökonomischen Herrschaft entkommt, neigt jeder dazu, sich selbst zu verwirklichen, neu geboren zu werden und das Leben von einem Tag auf den andern zu verändern. Die täglich als Wiedergeburt erlebte Schöpfung ist nichts anderes als der Antrieb zum Genuß, der den Panzer der unterdrückten Wünsche nach und nach sprengt.

Seit so langer Zeit wird bei den geringsten Anlässen der Tod gepredigt, daß das, was einer Predigt ähnelt — an erster Stelle die Anregung zum Leben —, die Gestalt des Todes annimmt. Ich will meine eigene Festung sein, die uneinnehmbar und dem gegenüber offen ist, was ihre Kraft verstärkt, und den Reisenden auf dem Weg zu sich selbst aufnimmt. Die Schlösser der Autonomie werden den Zerfall der staatlichen Autorität vollenden. „Die Pferde der Begierde werden am Ufer der mit Blumen überfluteten Städte das gereinigte Wasser der Flüsse trinken."

Die generalisierte Selbstverwaltung benötigt keine Aufwiegler, sie verzichtet auf diese Verschwörer, welche von den Bürokraten gerne und überall verraten werden, weil diese in ihnen den beruhigenden Widerschein ihrer eigenen Tyrannei sehen können. Sie hat weder Parteien, noch Organisationen nötig. Leichen, die ihr vorgebt, uns zu beherrschen, vergeblich werdet ihr mysteriöse Komplotte vermuten, die an den Unordnungen Schuldigen auspeitschen und heuchlerisch eine Gewalt beweinen, die sich allein aus eurer Gegenwart nährt. Einmal mehr wird das Augenscheinliche eure Nase mit eurer Ohnmacht besudeln. Auf der Straße und der Schwelle eurer Unruhen treten die Individuen der entstehenden Autonomie langsam aus den Nebeln der Verunreinigung durch die Ware hervor. Bereit, das Nichts für das Ganze zu wagen, dort zuzuschlagen, wo ihr es am wenigsten erwartet, die Verantwortung nur für sich selbst zu übernehmen, sind sie mit der alleinigen Vollmacht ihrer Subjektivität ausgestattet und ihre Schritte beginnen, den Ausschuß eurer tödlichen Zivilisation niederzustampfen.

Die verfaulende Geschichte der Ökonomie öffnet sich der möglichen Geschichte der Individuen. In dem Rückstand des Lebens hinter dem Willen zu leben, ist es der Kopf, der immer noch die Gegenwart eines neuen Stils verdeckt. Ich lebe noch zu wenig in der Umkehrung der Perspektive, da die Ungeduld mich auf das warten läßt, was schon in mir ist. Warum sollte man im Mangel das suchen, was man in der Fülle vorfindet? Von nun an sollte es mir genügen, das zu pflücken, was mir gefällt, um es mit dem zu verbinden, was mich entzückt, denn die Leidenschaft hat den Blick der Freude, sie entfacht alles und zerstört nur, was ihrem Wunsch hinderlich ist.

Ich will nichts entbehren und niemals genug von allem haben. Wie könnte die alte Welt mich zufriedenstellen? Bei jeder sozialen Unruhe, bei jedem Aufstand ist mir die Möglichkeit gegeben, die Hindernisse zur Befreiung immer weiter einzureißen, auf einem Gebiet, das weiter ist als das Feld meines täglichen Lebens. Die Lebenslinie führt über die subjektive Fülle, die grenzenlose Liebe, den Brand der Banken, die Sabotage der Ökonomie, das Ende des Staates und die radikale Zerstörung der Handelsbeziehungen.

Ich will kämpfen, um menschlich zu sein, viel zu menschlich, um es jemals genug zu sein.

Die Zweckfreiheit ist die Selbstverteidigung des Lebens. Das Genießen ohne Gegengabe ist die absolute Waffe der individuellen Emanzipation. Die Ironie der Geschichte hat es gewollt, daß die äußerste Entfremdung durch die Ware sie genau in die Reichweite aller gelegt hat.

Ohne Zwischenhändler, ohne Politiker, ohne Agitatoren, ohne Ärzte, ohne Volksredner, ohne Kraft, die sich außerhalb von uns befindet, werden wir der Geschichte das Merkmal unserer harmonischen Wünsche und die Befreiung der Notwendigkeiten einprägen.

Rettet man sich nicht allein? In Wahrheit bin ich davon überzeugt, daß ich mich niemals werde retten können, wenn ich mir Rettung durch andere und nicht durch mich selbst erwarte. Wenn die individuelle Autonomie nicht zu Beginn einsetzt, wie sollte man sie am Ende wiederfinden? Und wenn wir ihre Verwirklichung nicht beschlossen haben, wozu sollten wir sie am Anfang bejahen?

Gestern noch zum selbstmörderischen Abreagieren verurteilt, vollzieht der Kampf der Individuen seine Veränderung in der Umkehrung der Perspektive. Die in das Macht- und Profitrennen gesteckte Energie kommt lachend zur Besinnung, wenn sie sieht, daß sie sich nur an der Arbeitslosigkeit, der Inflation, dem ökonomischen Zerfall, dem Zusammenbruch der Autorität und an der von radikalisierten Richtern verwalteten Revolution sättigen kann. Sie findet die Wege zum Genuß wieder und fordert seine sofortige Freiheit.

Ich behaupte nicht, daß sie von vornherein den Sieg davonträgt. Die Naivität beinhaltet nicht, von einem Beamten, einem Händler, einem Soldaten, einem Totschläger zu erwarten, daß er endlich den Genuß wähle, anstatt die Menschen mit dem Schlagstock seiner Ohnmacht zu kastrieren. Von einer Schlange zu erwarten, daß sie nicht beiße, erscheint mir nicht unmöglich, nicht jedoch bei der ersten Begegnung.

Es gibt keinen Tag, wo der Angriff uns nicht zu einem Gegenschlag herausfordert. Der Handel bedroht mich, indem er mich zum Zahlen zwingt, die Bank bedroht mich, indem sie mich zum Rechnen zwingt, die Gesetze und die Autorität bedrohen mich, indem sie die Freiheit meiner Lebenswünsche verbieten. Dennoch handelt es sich nicht mehr um das Abreagieren der Wut, sondern um die ruhige Gewalt der Aufhebung, die sie hinwegfegen wird.

Die durch einen gemeinsamen Wunsch nach Autonomie verbündeten Individuen werden mit einer reizenden Ungezwungenheit und mit der größten Unschuld aufhören zu zahlen, zu gehorchen, zu verzichten, älter zu werden, sich zu schämen und die Angst zu kennen; so werden sie gemäß dem Antrieb des Vergnügens handeln und von Liebe und Kreativität leben.

Die Natur hat keine anderen Gesetze als die, welche die Ökonomie ihr gutgeschrieben hat. Diese Gesetze habt ihr mit animalischer Grausamkeit und den Plagen der Erde und des Himmels zelebriert. Diese Gesetze wird der Lebenswille im Verlauf eines Kampfes, aus dem eure Todesreflexe nicht siegreich hervorgehen werden, in der Gesellschaft verneinen. Der Kampf gegen eine feindliche Natur weicht heute der den individuellen Genüssen angebotene Hilfe durch das, was die Natur „gibt", und durch das, was ihr auserwählt seid, den Wurzeln des Lebens zu entreißen. Die Veränderung der menschlichen Zivilisation ist in Wirklichkeit nur ihre Vollendung.

Umso schlimmer ist es, wenn der Geschmack an Genüssen eine Quelle von Fehlern ist. Wir werden niemals soviele Fehler begehen wie es der intellektuelle Blutflecken bezeugt, die jede vergangene Revolution am Herzen trägt. Ich ziehe einen spontanen Fehler einer auferlegten Wahrheit vor. Eher die tastenden Versuche des Schöpfers als die Kohärenz des Chefs.

Das Wesentliche wurde gesagt. Das Wichtige wird nun zum Ausdruck kommen.