Titel: Warum bin ich eine Anarchistin?
AutorIn: Michel, Louise
Quelle: Der Anarchist. A.-C. Organ. Jahrg. VII., No.9

Ich bin eine Anarchistin, weil ich der Meinung bin, dass diese Mutteridee am Ende gleiche Gerechtigkeit und Glück für die Menschheit in Erfüllung bringt. Anarchismus ist gegenwärtig das Ende, welches der Fortschritt zu erreichen sucht, und wenn dieses erreicht ist, so wird er dann seinen Blick vorwärts nach einer Kante eines neuen Horizont wenden, und sobald dieser erreicht ist, dann will er wieder einen anderen entdecken. Und so immer weiter weil der Fortschritt in Ewigkeit besteht. Der Mensch wird erfahrend und einsichtsvoller sein, wenn er frei ist. Die Anarchie allein ist Freiheit. Sobald der Mensch zur Herrschaft gelangt ist, wird er dabei corrumpirt und unmenschlich; Unterwürfigkeit entehrt ihn sofort. Die Menschheit hat das Bedürfnis, aus dem schrecklichen Elend, worin es seit Jahrtausenden gefesselt ist, aufzutauchen und reizt diejenigen an, bei denen das menschliche Herz für Freiheit kämpft. Die Stunde nahet, beschleunigt durch die Verbrechen der vielen Regierungen, und trotz der Drohungen aller Gesetzesmacher, werden Millionen unglückliche Menschen ihre Zuflucht in der Anarchie suchen, so wie die Schwalbe beim Herannahen eines tödlichen Winters ihre Zuflucht in milderen Ländern sucht. Ein jedes Wesen verlangt zu leben; ein jedes Geschlecht und auch Unseres, wurde auf Grund der beschwerlichen Arbeit und Armuth zu Grunde gehen, wenn dieses System nicht bald ein Ende hätte. Die Anarchie ist die Wiedergeburt, welche Niemand verhindern kann. Die Institution der willkürlichen Gewalt sind in Stücke zerfallen, die Wellen des menschlichen Daseins vermehren sich immer in grössere Zahlen und bilden den Strom, welche die ganze Welt überschwemmen wird. Es war in der That nothwendig, dass unsere Zeit vorüber geht. Gewalt, Autorität und Privilegium werden bald wie die Schilder der Wilden nutzlose Waffen sein. Gegenwärtig, ohne den Namen anzunehmen, sind bereits alle Denker und Künstler Anarchisten, die Welt ist von der Idee gefangen genommen und durch den letzten Sieg wird Niemand als die Unwissenden überrascht werden. Ich wurde Anarchistin, als ich mit dem Regierungsschiff nach Caledonien reiste, wo wir wie wilde Tiger in Käfigen gefangen waren (in der Absicht uns zur Reue zu bewegen). Da waren wir 4 Monate zwischen Himmel und See und hatten nichts zu thun als nur zu denken. Soeben hatte ich meine Freunde von der Commune gesehen – ehrliche, brave, dem Volke ergebene Menschen – durch die Herrschaft in solchem Grade paralisirt, dass die Commune immer in Angst war, einen Missgriff zu machen und nur energisch war, dem Tod entgegen zu gehen. Ich hatte bald vernommen, dass wenn man irgend einen Menschen in Gewalt setzt, sei er auch der beste Revolutionär, es würde keineswegs den Zustand der Sklavenmajorität verändert werden. Wir müssen kämpfen, nicht allein mit Muth, sondern auch mit Logik. Und Logik für die Sache, damit die Masse bei der Revolution endlich den Vortheil erhält. Die Erde ist lang genug mit ihrem Blute getränkt worden – lang genug, und es ist für sie an der Zeit die geerntete Frucht einzusammeln.