Titel: An diejenigen, die sich die Freiheit erkämpfen wollen
Untertitel: Gegen den Bau eines neuen geschlossenen Zentrums und alles, was danach strebt uns ein Leben voll von
Datum: Dezember 2009
Bemerkungen: Original auf Französisch, Originaltitel: "A ceux et celles qui veulent se battre pour la liberté - Contre la construction d‘un nouveau centre fermé et tout ce qui cherche à nous imposer une vie pleine de frontières et de grillages". Ins Deutsche übersetzt im Februar 2015 von ausdemherzenderfestung.noblogs.org.

Mai 2009. In Steenokkerzeel haben die ersten Arbeiten auf der Baustelle, wo ein neues geschlossenes Zentrum entstehen soll, begonnen. Denn der Staat versucht eine selektive Migration umzusetzen; eine Migration, angepasst an die Bedürfnisse der Wirtschaft. Und all diese, die nicht diesen Kriterien entsprechen, müssten von nun an noch effizienter ausgeschafft werden. Dieses neue Gefängnis(mit einem individuellen Zellenregime) zielt vor allem auf die Isolierung von denen ab, die ihre Wut gegen ihre Einschliesser (mit oder ohne Uniform) richten. In dieser Wut sehen wir einen Punkt in dem wir uns wiedererkennen und die Einladung, dem Weg in einen Kampf gegen dieses geschlossene Zentrum und alle Grenzen und Autoritäten zu folgen.

Das Nest verlassen - Oder wieso wir den Kampf nicht sich selbst überlassen

Seit einigen Monaten fügen sich am Flughafen Brüssels-Zaventem, zum Motorengebrüll der Flugzeuge, auch noch Staub und Lärm produzierende Baumaschinen hinzu. Denn dort, nahe dem geschlossenen Zentrum 127bis[1], baut der Staat mit Hilfe von mehreren Baufirmen, ein neues Ausschaffungszentrum. Ausser bezüglich seiner extravaganten Architektur unterscheidet es sich auch auf anderer Ebene von bereits existierenden „Sans-Papier“-Gefängnissen. Es ermöglicht z.B. eine Zusammenlegung und zusätzliche Einsperrung von „ordnungsstörenden“ Häftlingen bis zu deren Ausschaffung. Von denen, die sich nicht ohne Widerstand in die Arme ihres schon vorprogrammierten Schicksals werfen liessen, denjenigen die alleine oder gemeinsam, zumindest für ein Moment, die Barriere des Unmöglichen überwunden haben - und revoltiert haben.

Der Fakt, dass der Staat die Revoltierenden und die anderen Sans-Papiers zu separieren versucht, ist nichts anderes als eines der vielen „Rezepten“ die er, einhergehend mit der Bekräftigung der Normen und Hierarchien anwendet um die Unangepassten zum Schweigen zu bringen. Man lehrt uns schon lange, die Welt mit den Ausdrücken der Macht zu interpretieren. Man hat uns den Namen und den Sinn der Sachen eingeprägt. Je mehr man sie uns repetiert hat, desto weniger haben wir daran gedacht sie wieder in Frage zu stellen. Aber von jetzt an sind wir all das leid. Die Dinge leid, die man Verpflichtungen nennt, wie die Schule oder der Arbeit. Wir sind es leid, uns in Beziehungen zu verlieren, die allzu oft nur von Gewohnheiten aufrecht erhalten werden. Wir haben genug davon zur konstanten Beschaffung von Geld und in die Angst, es wieder zu verlieren, gedrängt zu werden. Leid, in einer Realität eingeschlossen zu sein, die den Leuten Etiketten aufklebt, die sie zur Vorweisung von Dokumenten verpflichtet, sie dazu antreibt sich mit einer Nation oder Religion zu identifizieren, sie in Identitäten unterteilt ( „Männer“ oder „Frauen“, „junge Herumtreiber“, „Profitierende“...) Eine Realität in der man die Leute in denselben Topf schmeisst, wenn sie anders sind, wenn sie zu traurig sind, zu alt, zu fröhlich, wenn sie das Gesetz übertreten oder weil sie sich ganz einfach verweigern, das Ganze zu akzeptieren. Je mehr sie uns glauben lassen, das dies das Leben wäre, das dies alles normal ist und zu uns allen gehört, oder das keine Art von Ausweg existiert und dass, es zu spät sei, desto mehr vergessen wir, dass andere Möglichkeiten existierten und wir eines Tages frei sein hätten wollen; dass die Erwartungen des Lebens weder Grenzen noch Limiten kennen sollten.

Es wird aber immer Individuen geben die sich nicht von der Niedergeschlagenheit überfluten lassen. Diejenigen, die wissen, dass diese Gesellschaft, der Staat, seine Politiker und seine Repräsentanten immer Hindernisse für sie sein werden. Deshalb ist die Zerstörung, von den errichteten und beschützten Mauern zwischen uns, die einzige Perspektive. Deshalb sollten wir verhindern, dass unsere Entscheidungen in fremde Hände gelangen. Deshalb kämpfen wir nicht nur für eine Welt ohne geschlossene Zentren, ohne Papiere und ohne Grenzen, sondern betrachten es als Teil eines Kampfes für ein Leben wo niemand Befehle gibt und niemand zu gehorchen hat. Für ein Leben in dem es keine erstickende Normen mehr gibt und wo wir mit unseren eigenen Ideen dem Leben Sinn geben. Wir wollen frei sein, im Wissen das alles möglich ist. Dafür kämpfen wir.

 

Fremde von überall - Der Feind an den Grenzen

Jedes Jahr überqueren Zehntausende Flüchtlinge die europäischen Grenzen. Viele lassen beim Versuch dabei ihr Leben. So hat sich das Mittelmeer in ein Massengrab für boat people verwandelt, während andere Umherirrende von der Polizei und Schlepper um ihr Hab und Gut gebracht werden, noch bevor sie in der Wüste Sahara abgesetzt werden. Und wenn sie es schaffen ihre Füsse auf europäischen Boden zu stellen, dann erwarten viele unter ihnen ein Leben in der Dunkelheit. Mit sich, bringen sie Geschichten von Krieg, von Hungersnöten, von der Zerstörung ihrer Umgebung, von Verfolgung, von religiösem oder nationalistischem Hass.

Zahlreich sind diejenigen, hier, die Angst haben vor diesen Flüchtlingen: sie wären „anders“, sie sprechen eine andere Sprache und haben andere Angewohnheiten. Aber vielleicht haben hier die Leute vor allem Angst aufgrund der mitgebrachten Geschichten des Elends, die sie an etwas erinnern könnten. Die Geschichten hängen ihnen einen Spiegel auf, in welchen sie nicht zu blicken wagen, weil darin auch ihr eigenes Elend lauert. An einem Ort, wo man direkt die Ursachen des Elends sieht, konstruieren viele ein Feindbild anlässlich der Immigranten, die unsere Jobs wegschnappen und nur profitieren. Dies lässt die Sicht auf den wahren Feind verblassen.

Überall auf der Welt werden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Diese kapitalistischen Zusammenhänge, diese Ökonomie, reduziert alle und alles zu Waren und macht das Leben auf diesem Planet immer mehr unerträglich. Unerträglich, weil Hunderte von Millionen Menschen in trostloser Armut leben. Unerträglich, weil Hunderte Millionen von Menschen bereit sind sich gegenseitig umzubringen; wegen einem Stück Brot, wegen einem religiösem Dogma, wegen dem Glauben an eine Nation oder für ein neues Mobiltelefon. Unerträglich, aufgrund von industriell verschmutztem Trinkwasser; aufgrund unserem Essen das Krebserregend ist; weil die Orte an denen wir leben für die Funktion der Ökonomie und Kontrolle neu gegliedert werden. Kauen wir nicht auf unseren Worten rum: diese unerträglichen Situationen werden immer mehr Menschen in die Flucht treiben.

Und die kleinen Inseln der „westlichen Demokratien“ verstärken also ihre Grenzen. Tausende Kilometer Stacheldraht, Wachtürme, Grenzpolizisten, und Ortungssysteme wie in Osteuropa und Griechenland sollen den Schengenraum gegen das Elend der Welt schützen. Mit der logistischen und finanziellen Unterstützung von Europäischen Staaten, werden in Länder wie Tunesien, Marokko und Libyen Konzentrationslager gebaut um die Flüchtenden einzusperren noch bevor sie in wankenden Booten an den Küsten Europas landen.

Der Feind im Innern 

Aber der Staat verschärft seine Position nicht nur gegen die „Feinde von Ausserhalb“. Um die Interessen der Reichen und Mächtigen zu beschützen, muss er absichern dass, die Ausgebeuteten und die Armen die bestehende Ordnung weiter akzeptieren. Im Laufe des Klassenkampfs und um zu kontrollieren (wo die Karotte manchmal genauso gut funktioniert wie der Schlagstock )[2], haben die westlichen Staaten einen sozialen Aspekt entwickelt, als Versuch sich uns als Mediatoren zwischen Arm und Reich zu verkaufen.

Mit der Hilfe der Gewerkschaften und Parteien, haben sie in gewisser weise diejenigen, die von einer grundlegenden Veränderung alles zu gewinnen hätten, schlussendlich an ihrem Platz gehalten. Aber diese Epoche gibt nach und nach den letzten Seufzer von sich. Während der soziale Kampf sich abschwächt, bereitet der Staat das Ende der Sozialdemokratie vor, das Ende der “Zeit der Geschenke“. Denn die Profite müssen weiter ansteigen und dies ist nicht anders möglich als auf Kosten der Armen. Die sozialen Errungenschaften werden Schritt für Schritt abgeschafft, die Jagd auf Arbeitslose intensiviert sich, die (sozialen) Rettungsnetze werden liquidiert, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt (die Konkurrenz unter den Arbeiter/innen selbst) verstärkt sich durch eine von Arbeitsverträgen und Wirtschaft angetrieben Flexibilität. Und zu einem Zeitpunkt, in dem niemand damit einverstanden wäre, findet eine grundsätzliche Ausweitung von sozialen Kontrollen statt; ganze Quartiere unter Videoüberwachung, eine ganzen Reihe von neuen Kontroll- und Polizeidiensten, mit dem Gebrauch von immer perfektionierteren Überwachungsmittel.

Es ist klar, dass sich die Armut ausbreiten wird, dass die Anzahl der Armen ansteigen wird und nicht nur in einer Gegend die uns weit entfernt scheint, sondern auch hier. Sie sagen: das Boot ist voll, aber tatsächlich meinen sie, dass man Menschen über Bord werfen soll.

Alles Arme? Aber alle anders?

Der Staat macht also alles, um die Leute zu überzeugen dass es die anderen wären die über Bord gingen (zumindest vor ihnen). Und diese Illusion beruhigt so manche Leute. Auf Basis von Identitätspapiere und Aufenthaltsbewilligungen, bildet der Staat eine soziale Hierarchie unter den Armen. Er kreiert eine Reihe von Zwischenebenen mit verschiedenen gebilligten Status gemäss den Bedürfnissen der Wirtschaft (abhängig von Arbeitsverträgen, Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Sektoren etc). Die jüngste Regularisierung, zugestanden nach Jahren des Protestes von Sans-Papiers und anderen, fällt in vollem Umfang in diesen Rahmen zurück, ist also weit entfernt ein Sieg zu sein. Gewisse Kategorien von Sans-Papiers wurden regularisiert aufgrund von gewissen Kriterien... mit der unvermeidbaren und implizierenden Konsequenz, dass alle anderen das Feld zu räumen hätten. So also antwortet der Staat denjenigen, die glauben so kämpfen zu können, indem sie damit fortfahren die Tatsache, ihre Probleme zu lösen an eine Macht delegieren, die über ihnen steht. Solange diejenigen, die sich gegen die aktuelle Zustände der Dinge erheben wollen, ihren Gang auf diesem exemplarischen, politischen Terrain fortsetzen, mit dem Staat geschäfteln und verhandeln, die Sprache des Feindes sprechen und sich auf die berühmte politische Repräsentation (im Parlament durch die Parteien, auf den Strassen durch die Gewerkschaften) einlassen, werden nichts als Sand in die Augen gestreut bekommen. Ein Kampf der sich den Hierarchien unter den Armen entgegenstellt und die Grenzen angreift, kann nichts anderes tun als sich gegen jede Politik und jede Form von Verwaltung der Bevölkerung, zu stellen.

Während die Armut immer mehr Leute in Beschlag nimmt, beginnt das Eis des sozialen Friedens rissig zu werden. Einige begnügen sich nicht mehr das ganze Leben lang die Übertölpelten zu sein, eine sinnentleerte Existenz zu führen, in einer immer weniger einbringenden Wirtschaft zu funktionieren, in einem Staat der immer mehr alles unter Kontrolle hält.

Revolten brechen da und dort aus. Es wurde zurück geschlagen. Bei den Unruhen in verschiedenen Quartieren von Brüssels, bei einigen wilden Streiks in Unternehmen, bei den zahlreichen Meutereien in den Gefängnissen und geschlossenen Zentren sowie mit dem eindrucksvollen Anstieg von Ladendiebstahl in den letzten Jahren. Doch alle Arten von autoritären Ideologien versuchen(auf Grundlage von Nationalismus, von Fundamentalismus, Rassismus) von dieser Situation sozialer Unzufriedenheit zu profitieren. Solche Ideologien offerieren als Alternative genauso autoritäre und unterdrückende Mechanismen wie sie in der Welt, in der wir leben, bereits existieren.

Angesichts eines Gespenstes des Kriegs aller gegen alle, wollen wir den sozialen Krieg. Der Krieg der Ausgebeuteten gegen alle Ausbeuter, der Unterdrückten gegen alle Unterdrücker. Denn, ob wir Miete bezahlen an einen „belgischen“ oder „migrantischen“ Eigentümer, ob wir Handschellen von einem katholischen oder muslimischen Bullen angelegt bekommen, ob wir Lohnarbeit für einen schwarzen oder weissen Chef verrichten, ändert nichts an dem Elend in dem wir leben.

Andere Massnahmen die der Staat zur Spaltung benützt bestehen darin, dass jede soziale Frage, jedes Problem und jeder Kampf, als getrennt voneinander dargestellt werden und somit lösbar sind ohne an ihre Grundlagen stossen zu müssen. So hat der Staat das volle Interesse daran, dass sich der Kampf gegen die geschlossenen Zentren sich zu Regularisierungsforderungen von Sans-Papiers entwickelt. Während gerade die Migration auf keinen Fall eine „freie Wahl“ des Reisens ist, aber auf jeden Fall eine angetriebene Bewegung, provoziert durch die Bedürfnisse der Wirtschaft, durch den Krieg zwischen Staaten und Bevölkerungsgruppen. Die geschlossenen Zentren sind also nicht eine beschämende Widersinnigkeit, sie sind integraler Teil der autoritären und kapitalistischen Zusammenhänge die diese Welt dominieren. Die angeblich „offenen Zentren“, sprechen Bände darüber: der Staat konzentriert die auf den Entscheid wartenden Asylsuchenden in regelrechte Lager. Genauso hält er sie von der restlichen Bevölkerung separiert und erleichtert so die Selektion unter den „Beizubehaltenden“ und den „Rauszuwerfenden“. Die Leute sind also immer mehr eingesperrt aufgrund was sie sind und weniger weil sie dieses oder jenes Delikt begangen hätten. Und für jede Kategorie gibt es ein spezifisches Gefängnis: die geschlossenen Zentren für die Illegalen, die Gefängnisse für die Armen, die offenen Zentren für die Asylsuchenden,... Verweigern wir also im Kampf eine Separation der verschiedenen Einsperrungsformen, die der Staat uns in den Kopf zu pflanzen versucht.

Die Frage der geschlossen Zentren, der Ausschaffungen und der Aufenthaltsbewilligungen betrifft also nicht nur die Sans-Papier. Die Konzentration von Sans-Papiers in geschlossenen oder offenen Zentren ist nichts als ein Schritt im wachsenden Krieg gegen die Armen, in dem deren Herkunft und deren Hautfarbe eine kleine Rolle spielen.

Ein neues geschlossenes Zentrum

Im Mai 2009 hat der Staat den Bau eines neuen geschlossenen Zentrums in Steenokkerzeel gestartet. Auf der einen Seite, ist dies eine klare Antwort auf die zahlreichen Revolten, Meutereien und Ausbrüche die sich die letzten Jahre in den geschlossenen Zentren ereignet haben. Das ganze erinnert an die Art, wie der belgische Staat auf die Meutereien in den belgischen Knästen reagiert. Nämlich den Bau von neuen, moderneren und besser überwachten Gefängnissen und in der Eröffnung von zwei Isolationsmodulen für „rebellische Gefangene“. Das neue Zentrum wird auch dazu dienen um “Aufsässige“ einzusperren. Sie werden dort ein individuelles Zellensystem und Isolationshaft anwenden als Versuch, jede Form von Rebellion zu ersticken.

Auf der anderen Seite will der Staat auch die Leistung seiner Ausschaffungsmaschine erhöhen, in dem er eine grössere Einsperrkapazität erzeugt. Durch die Regularisierung von einem Teil der Sans-Papiers, vereinfacht er sich zur selben Zeit die Aufgabe, diejenigen auszuschaffen, die nicht in die Kriterien fallen. Belgien will, wie alle anderen europäischen Staaten, in Richtung „selektive Einwanderung“ gehen, durch Aufenthaltsbewilligungen die vollumfänglich an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst sind. Genauso wie wir, sind die Immigrierenden in den Augen der Bosse und Politiker nichts als Rohstoff der gebraucht, gehandelt oder in den Müll geschmissen werden kann. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie es mit Migranten immer offener machen.

Und jetzt also, was!?

‹‹Wir wollen frei sein. Zum Schluss gelangt, dass keine Regierung jemals etwas mit der Freiheit zu tun haben wird, bleiben uns nur zwei Möglichkeiten. Gehen um uns hinzulegen, resigniert am Fakt das nichts einen Sinn hat und das wir verurteilt sind wie Tote zu leben. Oder den Sprung ins Unbekannte zu wagen, ohne alle Antworten in der Tasche zu haben aber angetrieben von den Verlangen, die keine Lügen mehr akzeptieren. Unterwegs in Richtung etwas das unser ist...››

Vor allem andern wollen wir mit der Idee brechen, dass wir in unseren Möglichkeiten, gegen das uns umgebende Elend zu handeln, eingeschränkt seien. Weil wir keinen „Einfluss“ auf die Art und Weise hätten wie die Welt gemacht ist, weil alles gut über unseren Köpfen abliefe. Dieses gewohnte Gefühl der Ohnmacht, kann uns paralysieren, wenn wir den Fehler begehen und das uns einsperrende System als Produkt eines diabolischen und allmächtigen Superhirns begreifen, dass uns in leblose Steine verwandelt.

Dieses Gefühl wollen wir hinter uns lassen, ein für alle mal. Alles ändert sich wenn wir es wagen der Realität ins Gesicht zu schauen und wir den Mut finden, uns und alle anderen als Individuen ins Auge zu fassen, die ihre Wahl treffen. Weil es also klar wird, das diese Tragikomödie kein Ende haben wird solange die Akteure ihre Rollen weiter spielen werden. Nichts erhält sich von alleine aufrecht. Selbst ein monströses Ding wie die Auschaffungsmaschine kann sich nicht von alleine weiterdrehen.

Unter unseren Nasen, entscheiden die Politiker geschlossene Zentren zu bauen und zu finanzieren. Firmen wie Besix, Valens und ISS Cleaning gewinnen einen Haufen Geld mit dessen Bau und Unterhaltung. Die Direktoren und die Schliesser, aber auch die Sozialarbeiter und das medizinische Personal, die dort arbeiten (ihren guten Absichten dahinter interessieren da wenig), treffen die Wahl sich dem guten Funktionieren dieses Gefängnisses zu widmen, anstelle davon, es fundamental in Frage zu stellen. Die Fluggesellschaften gewährleisten die Ausschaffungen. Die angeblich offenen Zentren, verwaltet durch das IRK und Feasil, versuchen das Kommen und Gehen der Sans-Papiers zu kontrollieren, eng kollaborierend mit dem „Fremdenamt“ und den geschlossenen Zentren. Wenn wir nur etwas weiter als unsere Nasenspitze schauen, sehen wir, dass die Verkettungen der Maschine zahlreich sind. Karitative Organisationen wie Caritas International fördern den „freiwilligen Abzug“ und zahlen Prämien aus, wenn Sans-Papiers sich zur Ausreise verpflichten. Die Anwälte führen sie hinters Licht, Geld erpressend und falsche Versprechungen machend. Die Bullen machen Razzien/Massenverhaftungen in den öffentlichen Verkehrsmittel mit dem Einverständnis der Transportgesellschaften STIB und De Lijn, ja sogar mit ihrer aktiven Kollaboration bei den Ticketkontrollen die es erlauben Sans-Papiers festzunehmen. Gleichenfalls überfallen die Arbeitsinspekteure Hand in Hand mit dem Fremdenamt, Cafes, Spätshops und Baustellen. In den Gemeindehäusern erneuern die Bürokraten die Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen und erstellen so relationale Datenbanken über Asylsuchende. Die wucherischen Vermieter die nur zu gut wissen in welch prekärer Lage sich Papierlose Mieter befinden, profitieren in dem sie ihnen noch mehr Geld abluchsen. Letztlich gibt es auch diese Gutbürger, die nicht mit Denunziation zögern, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.

Und jetzt also, was? Wir können die Stille der Zustimmung brechen. Die Entscheidungen haben Konsequenzen. Wenn wir gegen die Ausschaffungsmaschine kämpfen wollen, reicht es nicht nur zu wissen mit wem sie kollaboriert. Es soll etwas geschehen... Wir können diejenigen besuchen, die es ablehnen ihre Verantwortung zu übernehmen, sie bedrängen und ihnen die Arbeit erschweren. Wir können ihre Mauern neu anstreichen ihren ganzes Drecksladen sabotieren und ihre Infrastruktur zerstören. Alles das kann eine Kraft entfalten, wenn es uns gelingt, auf dem Weg nicht zu vergessen, dass die Ausschaffungsmaschine nichts Abgetrenntes ist. Denn eine Gesellschaft gebaut auf Autorität, Lohnarbeit und Ausbeutung, wird immer auf Knäste und geschlossene Zentren sowie auf Einschliessung und Unterdrückung, angewiesen sein. Und der Kampf den wir in unseren Herzen tragen, ist ein Kampf gegen eine jede Form von Unterdrückung. Also rufen wir es laut: Es handelt sich nicht um eine Widersinnigkeit des Systems, sondern eine von allem, dem ganzen Leben, von uns allen! Tragen wir dies in uns, bei jedem Schritt den wir gegen die Maschine machen und gegen alles was uns am frei sein hindert. Entwickeln wir eine Solidarität mit denjenigen, die ausgehend von dem gleichen Drang nach Freiheit die Wahl treffen das was sie einsperrt, anzugreifen; eine Solidarität die fähig ist die Isolierung zu durchbrechen welche auf eine Auslöschung aller Versuche, uns das Leben wieder anzueignen abzielt. Eine Solidarität die sich in so vielen Arten ausdrücken kann. Helfen wir uns gegenseitig wenn es nötig ist, verteidigen wir unsere Ideen und teilen wir unsere Revolten.

Teilen wir einen Kampf....

Einige Anarchist*innen

[1] Ein schon seit 1994 bestehendes Ausschaffungszentrum in dem vorallem Menschen, mit abgelehnten Asylgesuchen aber auch solche mit noch hängigen Verfahren, eingesperrt sind.

[2] Französische Redenwendung, zu deutsch etwa: «man kann den Esel auch mit einer Karotte locken falls er auf Schläge nicht reagiert»