Titel: Der Repression entgegentreten
Untertitel: konditionierter Reflex oder eigenständige Bewegung?
Datum: Dezember 2003
Quelle: Entnommen aus: In offener Feindschaft mit dem Bestehenden, seinen Verteidigern und seinen falschen Kritikern & andere Texte. Frühling 2010.
Bemerkungen: Italienischer Originaltitel: Contrastare la repressione: rifelsso condizionato o miti proprio?, Ende Dezember 2003

Es weht ein schlechter Wind, das brauchen wir nicht zu verheimlichen. So schlecht, dass sich selbst unter den Schöngeistern der Linken eine gewisse Besorgnis breitmacht. Immer wehementer klagt man die Einführung eines “Regimes” seitens der aktuellen Regierung an. Es ist wahr, dass die Rechte ihre traditionelle Zuneigung zum Rizinusöl und dem Knüppel nie vergessen hat. Es bleibt jedoch eine Tatsache, dass Repression, Zensur und Verbote jenes alltägliche Brot sind, das uns alle Regierungsformen verabreichen, egal welcherart sie sind.

In Wirklichkeit – jenseits der politischen Fraktion, die momentan mit ihrer Verwaltung beauftragt ist – fordert diese einseitige Welt ein einseitiges Leben, das aus einseitigem Denken und einseitigem Verhalten besteht... in einer authentischen Kohärenz der Niederträchtigkeit. Bis zur Verbannung jeglicher Kritik, jeglicher Uneinigkeit und jeglicher Opposition: dort wo sich diese äussern, werden sie unverzüglich isoliert, eingedämmt, verleumdet, erstickt und weggesperrt.

Es genügt einen kurzen Blick auf die Geschehnisse zu werfen, die in letzter Zeit etwas überall in Italien passieren. Ermittlungen, Verhaftugen, Einsperrungen, Hausdurchsuchungen, Prügel und Mahnungen häufen sich gerade in der “Bewegung” an und betreffen fast alle, von den hitzigen über die lauen bis zu den kühlsten Köpfen.

Die Pforten der Gefängnisse öffnen sich für alle: Es reicht aus, für einen Anschlag angeschuldigt zu werden oder die x-te subversive Vereinigung aufgebaut zu haben, sich einer Identitätskontrolle oder einer Verhaftung in den Weg gestellt zu haben, einen Zivilbullen aus einer Demonstration befördert, an einer Versammlung teilgenommen oder eine Haus besetzt zu haben. Demnächst wird auch die blosse Anschuldigung, von Waren überfüllte Schaufenster eingefärbt zu haben, Grund genug dafür sein, um hinter Gittern zu landen.

Gleichzeitig schöpfen sie die tausend von dem Strafgesetzbuch gegebenen Möglichkeiten aus, um geschmeidig jegliche Aktivität zu behindern, indem sie Gefährten, die in umliegenden Dörfern wohnen Wegweisungsbefehle und Stadtverbote erteilen (hübsche, moderne und abgeschwächte Version der alten Verbannung). Es ist nicht schwierig den Anstieg solcher repressiven Praktiken vorauszusehen.

Aber das Bedeutendste ist, dass nicht nur die Bewegung – mit ihren vielfältigen Nuancen – im Visier der Repression steht, sondern, dass der Gesellschaft als Ganzes die Daumenschrauben enger gezogen werden. Das Verbot, die Anwesenheit italienischer Truppen im Irak zu kritisieren, hat unglaubliche Ebenen erreicht: Ein Fussballclub[1] wurde disqualifiziert, weil dessen Fans keine Trauer für die in Nassiriya[2] getöteten Soldaten zeigen wollten; Gymnasiasten werden zum Verhör aufs Kommissariat geschleppt, nachdem sie Transparente gegen den Krieg aufgehängt haben; bei Studenten werden Hausdruchsuchungen durchgeführt, weil sie Flugblätter verteilten; die Blockierung einer Informationswebseite wie Indymedia wird im Parlament beantragt, da sie außerhalb des nationalistischen Chores liegende Stimmen beherberge.

Allgemeiner gesehen, geht man zur Durchkämmung ganzer Schulen über, um Drogen zu finden, werden Ausländer in wenigen Stunden aus dem Land abgeschoben (weil man sie zu wer weiss was verdächtigt) und im tiefsten Winter zu hunderten aus ihren Häusern vertrieben, werden satyrische Fernsehprogramme zensiert, weil sie zu satyrisch sind... die Liste könnte so weiter gehen.

An Beispielen mangelt es leider nicht. Im Gegenteil, sie nehmen mit einer gewissen Steigerung zu, wie etwa die absurde Reaktion auf den Streik der ATM[3] im Mailand, welcher die ganze Stadt zwang, einen Tag zu Fuss zu gehen: Während die Rechte zu harten Strafen für die Streikenden aufruft, fordern einige Linke den Einsatz der Armee, falls es erneut zu einer Unterbrechung des öffentlichen Verkehrsdienstes kommen sollte. Und man kann sich leicht vorstellen, was passieren wird, sobald das neue Drogengesetz[4] angewendet wird.

In Anbetracht all dessen scheint es dringend, eine öffentliche Debatte zu führen, bevor uns jeglicher Raum für Worte und Taten noch komplett versperrt wird.

Lasst uns mit einer Vorbemerkung beginnen. Die Tatsache, dass heute jeder Beliebige, der nicht bereit ist, stillzustehen, ins Visier der Repression gerät, bedeutet, dass die Trennung zwischen den “Guten”, die zu hätscheln sind, und den “Bösen”, die zu prügeln sind, ausgedient hat. Sicherlich, dies wird nicht zur Vereinigung der unterschiedlichen Gemüter der Bewegung dienen – in gutem Frieden mit all den Ökumenikern –, die von ganz anderen Dingen, als von der vom Staat verabreichten Verhaltensbenotung getrennt werden. Diese Tatsache könnte jedoch dazu beitragen, einen viel zu verbreiteten, alten und albernen Spruch aus dem Weg zu schaffen, nach welchem die Repression einem Radikalitätsbezeugnis gleichkomme: « Mich trifft Repression, also bin ich ».

Eine Überzeugung, die manche dazu bringt, zu glauben, dass man umso mehr ist, je mehr man von der Repression getroffen wird, in einem Wahn von Selbstgefälligkeit, der in manchen Fällen zur Selbstaufopferung überläuft. In dem Moment, wo sich die Repression in allen Bereichen der Gesellschaft ausbreitet, ist es offensichtlich lächerlich, zu denken, dass sie nur diejenigen treffen würde, die die Staatssicherheit bedrohen.

Das heisst, im Gegensatz zu dem, was die mafiösen Bosse der verschiedenen aktivistischen Betrügereien denken, dass der Anstieg der Repression in keinster Weise dem Anstieg der revolutionären Bedrohung der Bewegung oder eines ihrer Teile entspricht.

Wenn wir ehrlich sind, so scheint es uns, dass die Bewegung, im weitesten Sinne des Wortes, gerade einen ihrer Tiefstpunkte erreicht hat; auf der einen Seite völlig damit beschäftigt, die medialen und institutionellen Ufer zu erobern, und auf der anderen damit, sich mit einem chronischen Mangel an Perspektiven herumzuschlagen. Selbst die Explosion von Genua vor ein paar Jahren scheint eher mit einer Gesamtheit an Umständen zusammenzuhängen, die vor allem auf internationaler Ebene entwickelt wurden, als mit einer angeblichen Reife, welche die Bewegung hier in Italien erreicht haben soll (der unmittelbar darauf folgende Rückzug ist der Beweis dafür).

Doch nun, wenn die Bewegung eigentlich gar nicht so stark und für den Schlaf der Reichen gar nicht so gefährlich ist, wieso wohnen wir einer solchen Serie von Verhaftungen und Einschüchterungen bei?

Wir sind der Ansicht, dass dies in der sozialen Situation als Gesamtheit gründet, welche nunmal so schwach und zerbrechlich ist, dass sie ihnen nicht erlaubt, zu viel Risiko einzugehen. Das Bauwerk steht zwar noch auftrecht, in seiner ganzen monumentalen Stattlichkeit, doch seine Fundamente verfaulen zunehmends und das Knirschen wird lauter.

Wie gesagt, nicht weil wir stärker sind, trifft uns mehr Repression, nein, sondern, weil sie schwächer sind. Um klar zu sein: Wir sagen nicht, diese soziale Ordnung sei nicht in der Lage, ihren Willen durchzusetzen, dass sie militärisch verletzbar wäre oder sonst irgendwas. Wir sagen bloss, dass sie, in einem völlig auseinandergerissenen Kontext, der keine anhaltende Stabilität mehr garantieren kann, eher durch träge Bewegungen voranschreitet, als durch antreibende Handlungen, und sich eher auf passive Resignation stützt, als auf aktives Einverständnis.

Schliesslich plagt die Prekarität auch die Herrschaft. Sich über diese Schwäche bewusst, ist sie gezwungen, laut zu werden und ihren Feinden einzuschüchtern, egal ob sie wahre oder mutmassliche sind: Sie tut dies jetzt, weil sie es sich noch erlauben kann. Dies verleitet die Herrschenden auch dazu, bei allen Ereignissen zu übertreiben, um jene Besorgnis zu kreieren, die ermöglicht, gewisse Massnahmen öffentlich zu rechtfertigen, die ansonsten nicht vorschlagbar wären, aber auch, um jene Panik zu schüren, die eine Dosis Sichereit erfordert, um wieder beruhigt zu werden.

Wie wir schon sagten, dieses grosse Bellen der Wachhunde der Macht flösst Angst ein, deutet aber auch auf eine gewisse Zerbrechlichkeit hin. Das sollte uns über die Möglichkeiten nachdenken lassen, die sich vor uns öffnen, über Methoden, um die Bulldoggen zu umgehen, damit wir unsere Hände über das ausstrecken können, was sie beschützen.

Stattdessen scheint es, dass ihr Gekläffe für viele Gefährten zur Obsession geworden ist, wobei sich einige ausschliesslich mit dem Versorgen ihrer Wunden beschäftigen, die von diesen Bissen infiziert wurden, und andere diese aus dem blossen Vergnügen an der Konfrontation oder aufgrund der Unfähigkeit, weiterzublicken provozieren. Wir möchten aufzeigen, wie in beiden Fällen eine Verschiebung unserer Ziele, und daher auch unserer Praktiken stattfindet, wie sich unser Ziel verändert, da man von einem Kampf gegen das Bestehende zu einem Kampf gegen die Kräfte, die es verteidigen übergeht. Ist das etwa dasselbe?

Nein, das ist es nicht, es sei denn, man verwechselt die Ursachen mit den Folgen. Die Ordnungskräfte zu bekämpfen und sich vor ihnen zu verteidigen, bedeutet an und für sich nicht, die herrschenden sozialen Beziehungen zu untergraben. Und zu einer Zeit, in der diese sozialen Beziehungen besonders instabil sind, muss unsere Aufmerksamkeit, unsere theoretische und praktische Kritik eben dem gelten, indem wir so gut wie möglich vermeiden, ausschliesslich von einem konditionierten und von der Repression provozierten Reflex angetrieben zu werden.

Denn ansonsten endet man damit, das fruchtbare aber unbekannte Terrain der sozialen Konflikte zu verlassen, um sich in dem sterilen aber bekannten Terrain der Gegenüberstellung von uns und ihnen, von Gefährten und Bullen zu verschanzen, in einem Konflikt, der reich an Zuschauern ist, aber arm an Komplizen.

Nun, durch die simple Tatsache der Ermittlungen und des Einsperrens, gelingt es dem Staat, demjenigen, den die Repression trifft, die Illusion zu verschaffen, aufgrund dessen gefährlich zu sein und bereits etwas konkretes in Gang gesetzt zu haben.

Er verschafft uns allen die tödliche Illusion, stark zu sein, dass unsere Agitation dort bedeutsam wäre, wo wir in Wirklichkeit sehr schwach sind (auch wenn wir für die Herrschaft schädlich sind). So können wir dann mit unserer Aktivität zufrieden sein, wie beschränkt sie auch sei, ohne uns dabei fragen zu müssen, wie sie auszubessern wäre. Kritische Debatten werden zurückgewiesen und oft als Zeitverlust betrachtet.

Ausserdem wissen wir nur zu gut, dass die Repression die Bewegung in eine Verteidigungsposition drängt, sie bringt alle dazu, sich um die verhafteten Gefährten zu kümmern, Anwälte zu suchen, Geld zu sammeln, Demonstrationen vor den Knästen zu organisieren und Prozesse zu begleiten.

Selbst jene, die extremere Protestformen anwenden, wie etwas das Versenden von Briefbomben, können dieser Logik nicht entfliehen: der Staat gegen die Bewegung, die Bewegung gegen den Staat, in einem hektischen Aufeinanderfolgen von Verhaftungen, Protesten gegen die Verhaftungen, die erneut zu Verhaftungen führen, die zu neuen Protesten führen, welche wiederum zu Verhaftungen führen...

Ja, wir werden alle von der Repression getroffen. Aber können wir aufgrund dessen sagen, dass wir gefährlich sind? Oder eher, dass diese ganze Repression, die sich auf die Bewegung stürzt, nichts anderes als eine Methode ist, um uns davon abzuhalten, es wirklich zu werden?

Vielleicht ist dies der Moment, um einige Fragen zu klären. Die materielle Unterstützung für diejenigen, die im Knast landen – eine triste Eventualität, die für alle zunehmends konkreter wird und eine bessere Berücksichtigung verdienen würde –, ist und sollte ein technisches Problem bleiben. Von ganz anderer Natur hingegen ist die Frage, was wir gegen diese unertägliche Welt tun wollen.

Wenn dies auch grausam klingen mag, müssen wir die moralische Erpressung zurückweisen, die jedes Mal ausgeübt wird, wenn ein Gefährte verhaftet wird. Es gibt überhaupt keine Solidaritätspflicht, die wir respektieren müssen. Niemand endet anstelle desjenigen, der draussen ist im Knast, niemand ist dank demjenigen, der eingeschlossen ist draussen. Auch wenn seine Befreiung eine unserer Hauptsorgen ist, darf sie nicht zum Ziel werden, dem es alles unterzuordnen gilt. Wir dürfen nicht aufhören zu rennen, nur weil derjenige, der an unserer Seite ist angehalten wurde. Wir würden besser daran tun, die Bedigungen für seine Befreiung und jene der Anderen zu schaffen, ohne den Blick und die Aufmerksamkeit für das, was wir direkt vor uns allen sehen, zu verschliessen, indem wir uns unberechenbar machen, uns nicht auf vorher festgelegte Termine fixieren, sondern unsere eigenen aufstellen.

Unsere Agenda soll weder von jener der Regierung noch von jener der Justiz gezeichnet werden, und noch viel weniger von den verschiedenen politischen Splittergrüppchen, die nur die Scheinwerfer der Bekanntheit suchen. Kurzum, anstatt uns zurückzuziehen, um uns vor den Mauern eines Gefängnisses wiederzufinden, die Freilassung desjenigen fordernd, der dahinter eingesperrt ist, wäre es viel besser, weiter zu rennen, und zwar schneller und in alle Richtungen.

Nicht nur, weil das die schönste Art ist, seine Solidarität auszudrücken (das Bewusstsein, dass andere den angefangenen Weg fortsetzen, ist wohltuender als alle lärmenden Grüsse), sondern vor allem, weil es auch der beste Weg ist, um denjenigen die Nutzlosigkeit solcher Verhaftungswellen zu zeigen, die sie anordneten und ausführten.

Dies ist der Grund, weshalb wir denken, dass die beste Art und Weise, über das zu debattieren, was man gegen die Repression unternehmen soll (neben allen technischen Überlegungen und Abmachungen), in Wirklichkeit darin besteht, sich konstant zu fragen, was wir tun können, um dieser Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu schaden und im Laufe der Handlung Antworten zu finden. Denn es ist wahr, dass ein schlechter Wind weht, das brauchen wir nicht zu verheimlichen. Aber es ist ebenso wahr, dass, falls wir uns wirklich die Entfesselung des Sturmes wünschen, der Wind, der weht, nur ein falsches Problem sein kann.

[1] Einige Sportclubs äussern ihre politische Überzeugung (und nicht nur rechte).

[2] Am 10. November 2003 werden bei einem Angriff in Nassiriya (Irak) 19 Carabinieri getötet und etwa zehn verwundet. Dieses Ereignis wird von der Regierung als nationales Drama behandelt.

[3] Unternehmen für den öffentlichen Verkehr. Legale Streiks in Italien müssen sich an die Arbeitszeiten anpassen, um der Produktion nicht zu schaden.

[4] Arbeitsstraffen und Gefängnisstrafen schon ab dem Besitz von ein paar Gramm.