Titel: Die Rebellion
Datum: Oktober 1985
Quelle: Entnommen aus: Alfredo M. Bonanno: "Anarchismus und Aufstand", Edition Irreversibel in Zusammenarbeit mit Konterband Editionen, ohne Ort, August 2014, S. 54-66.
Bemerkungen: Original auf Italienisch, Originaltitel: "La ribellione", in dem Buch “Teoria e pratica dell’insurrezione”, Edizioni Anarchismo, Catania Oktober 1985.
Übersetzt ins Deutsche in der Broschüre Alfredo M. Bonanno, Die Rebellion, Konterband Edizionen, September 2013, Zürich.

      Der Skeptiker

      Die Anpassung

      Der Bruch

      Die Marginalisierung

      Die ungeordnete Rebellion

      Die bewusste Rebellion

      Differenzierungselemente

Der Skeptiker

Einer der vielen Phrasenspucker, angewidert von der Welt und von sich selber, ein altes Wrack von so vielen imaginären Schlachten, desillusioniert und skeptisch im Elend des eigenen alltäglichen Problems, zu leben, sagte einmal zu mir, dass die Rebellion heute nicht mehr existiert, dass es anachronistisch wird, von ihr zu sprechen, ein Ding aus dem letzten Jahrhundert.

Mein Freund, sich an seine vergangene Militanz erinnernd und mit offenen Augen träumend, zwischen dem einen Glas und dem anderen, bestätigte mir die Absicht, es schlicht dabei zu belassen, nichts zu tun. Weder wartend, noch hoffend. Einfach nichts zu tun. Arbeitend, um zu leben, während er zuschaut, wie das Leben vergeht.

Die Traurigkeit dieser Bekräftigungen ist für mich etwas Tangibles. Vor nicht sehr langer Zeit – im Glauben, eine harte Kritik zu üben – sagte mir einmal jemand: – was wirst du schon Grosses tun? Nun, gerade diese meine angebliche Unreife ist das, was vielleicht den Schatz darstellt, woran mir am meisten liegt, das Schönste in meinem Leben.

Ich weiss nicht, was ich Grosses tun werde, gerade weil ich weiterhin mit dem Enthusiasmus des Kindes bleiben will, das die Welt entdeckt, und ich will nicht in ausgefeilten Rechtfertigungen des “Nicht-Handelns” verknöchern.

Die Aktion hat im Grunde immer etwas überstürztes. Der Skeptizismus ist eine der tiefgründigsten Philosophien, doch wie alles, was scharfsinnig und hochstehend ist, verliert er allzu schnell den Kontakt mit der Realität, mit jenen bescheidenen und konkreten Dingen, die keine grossen Denk- und Gefühlshöhen erreichen, die aber dennoch wichtig und fundamental sind, da sie den Grossteil vom Leben aller ausmachen. Der Skeptiker zieht sie nicht in Betracht. In der Kühnheit der eigenen Hypothese über die Welt schreitet er ohne Zweifel, ohne Widersprüche voran. Die Anderen mühen sich damit ab, Schlussfolgerungen zusammenzufügen, er schaut mit Überlegenheit auf sie herab und betrachtet sich selbst in der absoluten Kälte der eigenen Identität. So endet er darin, sich immer perfekt, in Sicherheit und fern von jedem unangenehmen Vergleich zu fühlen. Aber er merkt nicht, dass er schlicht feige und müde ist. Ein bissiger Bewahrer des eigenen Avvenirismus.

Die Anpassung

Im Grunde passt sich mein skeptischer Freund an, das heisst, er folgt der Verhaltensweise, die der Situation, worin er sich befindet, am angepasstesten (und somit, ihm zufolge, am richtigsten) ist. Er rebelliert nicht.

Eben darin liegt seine Tragödie. Er negiert die Realität der Rebellion infolge der Tatsache, dass er nicht rebelliert, und, wie es immer geschieht, tendiert er dazu, diese “normale” Tatsache philosophisch zu rechtfertigen, indem er ihr generalisierte Konnotationen gibt.

Im Grunde ist eine der fundamentalen sozialen Normen jene, die will, dass das Verhalten des Individuums rational ist. Und der Skeptiker ist zutiefst rational. So rational, dass es einem den Magen umdreht.

Die Rationalität ist eines der essenziellsten Instrumente, um den Fortbestand der Werteskala sicherzustellen, die von der Kollektivität angenommen wurde. Jede Änderung in der Kodifizierung der Normen (oder der Werte, was schliesslich dasselbe ist) muss erst durch die Diskriminante der Vernunft betrachtet werden. Wenn wir gegen einen ungerechten Repressionsakt rebellieren müssen, so soll dies nur geschehen, wenn es auch genügend wahrscheinlich ist, dass das Resultat positiv ist, und wenn wir uns über den Umgestaltungsprozess und auch darüber, was es danach zu tun gilt, gut im Klaren sind. Jede andere Aktion wird zurückgewiesen, zu den irrationalen und daher absolut negativen Verhaltensweisen.

Die Instrumente der Rationalität sind sehr viele und unterschiedlich, und alle realisieren die Kontrolle des Individuums, indem sie dazu beitragen, seinen Charakter zu formen. Es geschieht also, dass sich der Einzelne auf scheinbar freiwillige Weise verhält, aber im Wesentlichen quasi exakt die Befehle ausführt, die er erhält. Die Verlangen des Individuums sind folglich in den meisten Fällen genau die, die es haben soll, und seine Handlungen die, die es tun soll.

Der Bruch

Manchmal funktioniert der Mechanismus nicht. Das instabile Gleichgewicht, das der Repressionsprozess anstrebt, indem er intrapsychische Elemente, biologische Strukturen, soziale Zwänge und kulturelle Elaborationen ausbalanciert, bricht zusammen. Das Bewusstsein der eigenen Situation, so, wie es vom sozialen System konstruiert wurde, zerbricht. Dies ist der Moment, in dem wir uns “anders” verhalten.

Es ist der Bruch. Wir rücken vom Verhalten ab, das vom Rest der Mitglieder der Kollektivität verfolgt und für “richtig” gehalten wird.

Man sollte nicht denken, dass der Skeptiker, eben wegen seiner Position, ein Anderer ist. Im Grunde verhält er sich im Einklang mit den Normen (darunter die Rationalität), welche die Kollektivität regulieren, zu der er einmal gehörte, gegen die er sich stellte, und zu der er mit dem eigenen Verzichtsverhalten neigt, zurückzukehren.

Der Bruch erfolgt in der Regel als Negierung der Verhaltensnormen der Kollektivität, der man angehört. Es kann mehr oder weniger gewaltsame oder mehr oder weniger radikale Negierungen geben. Niemand kann die Verhaltensnormen gänzlich negieren. Niemand kann sie gänzlich akzeptieren. Zwischen diesen beiden unmöglichen Extremen verortet sich das angepasste Verhalten. In Richtung der Negierung verorten sich eine Reihe von Verhaltensweisen, die als “anders” bezeichnet werden.

Aber weshalb verhalten wir uns “anders”? Es gibt zwei Komponenten, die zur Andersheit verleiten: den rationalen Grund und die Gründe des Herzens. Beide spielen eine Rolle in der Situation des Einzelnen, die aus einer enormen Gesamtheit von Handlungen, Tatsachen und Beziehungen besteht, die aber auch das Bewusstsein selbst von dieser organischen Gesamtheit ist. Es ist nicht einfach, festzustellen, ob im angepassten Verhalten die Rationalität überwiegt und im anderen die Gründe des Herzens überwiegen. Sagen wir, dass diese letzteren grundsätzlich schwer auf die sozialen Normen zurückzuführen sind, die gewisse Verhaltensweisen vorschreiben und als angepasst betrachten. Dies schliesst nicht aus, dass beträchtliche Kristallisierungen der Gefühle festzustellen sind, die oft dem Modell gemäss gelebt werden, das von aussen vorkonstruiert wurde, und nicht so, wie es die persönlichen Triebe vorschlagen. Umgekehrt haben wir, dass die Vernunft ordnendes Element eines anderen Verhaltens sein kann, sosehr es sich auch im Allgemeinen um Abstufungen innerhalb von einem Projekt der Zurückweisung der Realität handelt, das von Mal zu Mal “normalisiert” wird, wenn es keine operative Mündung findet.

Da es hier nicht darum geht, auf dieses Problem einzugehen, wollen wir es hierbei belassen, uns aber bewusst haltend, dass der Bruch mindestens auf drei Weisen auftreten kann. Schematisierend, um das Verständnis zu erleichtern, sprechen wir von einer objektiven Weise, einer ungeordneten Weise und einer bewussten Weise.

Die Marginalisierung

Der Produktionsprozess selbst drängt eine Reihe von sozialen Schichten, die eine irreguläre Beschäftigung, gelegenheitliche und illegale Tätigkeiten, unsichere und in der Regel sehr bescheidene Einnahmen finden, an den Rand.

Die “Andersheit” ist hier zum grössten Teil Auswirkung des objektiven Prozesses des an den Rand gedrängt Werdens, der Absonderung von den besser organisierten und folglich stärker mit dem Produktionssystem verbundenen sozialen Schichten.

Daraus folgt, dass sich der Komplex aus Bräuchen, Sitten, Werten und Normen, der das Verhalten reguliert, notgedrungen als anders erweist und dazu neigt, sich in einer regelrechten Ghettokultur zu vereinheitlichen, mit dem Gefühl von Abschottung und Besonderheit, das sich daraus ableitet.

Die Andersheit gegenüber den wesentlichsten Verhaltensnormen der privilegierten Gruppen ist hier eine “normale” Tatsache, die sich, durch die eigene selbe Homogenität, in eine neue Art Verhaltensnorm verwandelt, die darin endet, sich, mit genauso starren Regeln, dem vorigen Typ gegenüberzustellen. Es gibt dennoch einige Faktoren, die zusammenwirken, um diese sozialen Schichten für plötzliche und auch tiefgreifende Veränderungen des Bewusstseinslevels offener zu behalten.

An erster Stelle eine gewisse Unfähigkeit, sich als soziale Gruppe, als mit einem Klassenbewusstsein ausgestattete Gesamtheit zu erkennen. Dies schliesst einen handgreiflichen und spontanen Zusammenhalt im Falle von Rebellionen nicht aus, die unerwartet ausbrechen und in kurzer Zeit enden, die klassischen Ziele zerstörend, worin sich die Macht manifestiert: Rathäuser, Steuerämter, Parteisitze, Kirchen, Läden, usw. Die ausschliesslich zerstörerische Charakteristik dieser Gewalt ist einer der Faktoren der “Andersheit”, über die wir diskutieren, und darf nicht unterschätzt werden, sosehr sie auch nicht als von erstrangiger Wichtigkeit betrachtet werden sollte.

An zweiter Stelle ist die Importierung der Werteskala der oberen Klassen, insbesondere der Mittelklasse, mit einer Anwendung dieser Skala verbunden, aber auch mit einer gewissen Vorläufigkeit davon. Einige fundamentale Punkte sind sehr schwach. Zum Beispiel ist die Familienstruktur sehr ungefähr, aufgrund der Irregularität der Arbeit, die keine geordnete Gewohnheit der Mahlzeiten, des Schlafs, der Beziehung zu den Kindern, ihrer Erziehung, der sexuellen Beziehungen, der Vergnügungen, usw., gestattet.

Schliesslich die Tendenz zur Selbstreproduzierung des Ghettos, sowohl im physischen wie im kulturellen Sinne verstanden. Dies bringt eine Bewegungslosigkeit der Gesamtheit mit sich, die sich einerseits den reformistischen Versuchen entgegenstellt, die Lebensbedingungen zu verbessern, aber andererseits keine Lösung revolutionären Typs findet, ausser durch vorübergehende und kurz andauernde Explosionen.

Die ungeordnete Rebellion

In allen sozialen Klassen gibt es Rebellen. Der Charakter mancher Individuen erweist sich in einem bestimmten Moment als unfähig, einen gewissen Grad an Konditionierung zu ertragen, und folglich weigert er sich, reagiert er, durchbricht er die Umklammerung, die ihn bedroht.

Sicher, wer an der Herrschaft teilhat, sich seiner privilegierten Situation bewusst werdend und (durch die Bildung und die sozialen Beziehungen im Allgemeinen) ein Bewusstsein der höheren Klasse erlangend, wird schwerlich darauf verzichten. Auf der entgegengesetzten Seite wird sich, wer die Herrschaft erleidet, und sich dessen allmählich bewusst wird, nach und nach, durch die Ausbeutung selbst und durch das eigene Leiden, der Klassensituation bewusst, worin er sich befindet, und ist leichter dazu verleitet, zu rebellieren. Dies stimmt zweifellos und stellt die Sicht auf den Klassenkonflikt dar, so, wie wir ihn kontinuierlich zu analysieren versuchen. Doch hier beschäftigen wir uns mit einer besonderen Frage. Hier beschäftigen wir uns mit dem Rebellen.

Wenn sich der Charakter des Individuums als von sozialen Faktoren und, auf viel bescheidenere Weise, von biologischen Faktoren konditioniert erweist, so sind es die ersteren, wogegen sich ein Prozess der Verweigerung der Konditionierung selbst entfesseln wird, während diese sich in all ihren Details verwirklicht. Die Herausbildung des Charakters ist ein langer und widersprüchlicher Prozess. Darum bekunden die Rebellen eine Tendenz, die Widersprüchlichkeiten von sehr jung an hervorzuheben, indem sie das Drängen und die Triebe, die aus dem bereits gefestigten Teil der eigenen Persönlichkeit stammen, zurückweisen und Alternativen aufbauen, die im Gegensatz zu den Anforderungen und Drücken von aussen stehen.

Der Charakter eines Individuums ist in der Regel ein Element seiner Persönlichkeit, ein Element, das es dazu zwingt, gemäss dem zu handeln, wie die Gesellschaft (die kräftig dazu beigetragen hat, diesen Charakter zu konstruieren) will, dass es handelt. Doch manchmal funktioniert dieser Mechanismus nicht. Das ist der Moment, in dem der Rebell entsteht.

Doch diese Rebellion ist ungeordnet. Das heisst, sie ist ohne Orientierungskriterium. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Feind, bleibt aber beim ersten Schatten stehen, fällt in die erste ideologische Falle. Der faschistische Schläger entsteht auf diese Weise. Dasselbe passiert beim Streitsuchenden an der Kreuzung. Die Stadtteilbanden formieren sich, indem sie solche Elemente rekrutieren, während die Stadien sich mit ihren Anfeuerungs- und Selbstverherrlichungsschreien füllen.

Im Grunde ist der ungeordnete Rebell auf der Suche nach einem Bezugspunkt, nach einem Ideal, wofür es zu kämpfen gilt, und an diesem Punkt fragt er nach Hinweisen bezüglich dem Ziel, wogegen es zu kämpfen gilt. Die Unwissenheit und die aristokratische Überbewertung von sich selber bringt viele Rebellen dazu, sich nicht alleine orientieren zu können und in Gewalt vieler Illusionen zu geraten. Einmal im Fehler oder im Missverständnis, verhindern ihr Charakter selbst und die Überbewertung des eigenen Ichs jede Änderung in den eigenen Ideen. So erklärt sich, weshalb viele Subproletarier, zuwider jeder sozialen Logik, die Rangiermasse der reaktionärsten Rechten bilden.

Der Jugendliche ist oft in einer Situation, die wir als unentschlossen definieren könnten. Er verspürt einen Ansporn zur Revolte, auch weil seine sozialen Perspektiven noch nicht ausreichend klar sind, weil die Konditionierungen noch nicht stark sind, doch er weiss nicht, wie er sich orientieren soll, er findet keine gültigen Elemente, um das eigene Verlangen, sich “gegen” eine erstickende Situation zu stellen, zu rechtfertigen. Die grossen Worte, die grossen ideologischen Diskurse sagen für seine zersetzte Situation nichts klares aus. Die revolutionäre Aktion und eine angemessene anarchistische Klarstellung können leicht auf diesen fruchtbaren Boden fallen und unter dem Gesichtspunkt der Aktion beträchtliche Resultate erzielen. Doch wir müssen unsere alten Diskurse an die veränderten Lebensbedingungen anpassen, ohne deswegen jene Informationsmittel zu akzeptieren, die, eben in der Gesuchtheit der Form als Zweck an sich, auf triste Weise den Mangel an Inhalten verbergen. Wir müssen, schliesslich, zuerst kommen, bevor die leichten Konditionierungen der wahllosen Gewalt zugegriffen haben. Jene, die der Täuschung sofort zum Opfer fallen, sind oft die besten Elemente, die Arglosesten, diejenigen, die am meisten zur Aktion bereit sind. Sie bezahlen auf diese Weise ihren blinden Willen, “etwas zu tun”, und werden, aufgrund ihres hartnäckigen Willens, weiterzumachen, zu den gefährlichsten Werkzeugen in den Händen des Feindes.

Die bewusste Rebellion

Sie entsteht aus der glücklichen Vereinigung des Charakters und der Bewusstwerdung. Im Absoluten wäre die zweitere unmöglich ohne eine Bereitschaft des ersteren zur Aktion, und, umgekehrt, wäre der erstere verstümmelt ohne den Beitrag der zweiteren. Man muss jedoch präzisieren, dass die Bewusstwerdung zum grössten Teil eine Auswirkung der Klassensituation und des Klassenkonfliktes ist, und somit eng verbunden mit den sozialen Verhältnissen voranschreitet und von diesen ihre Prägungen erhält. Der Charakter hingegen ist immer ein der Persönlichkeit inhärenter Faktor (an deren Zusammensetzung auch das Klassenbewusstsein teilnimmt) und erweist sich somit als stark subjektiver Ausdruck.

Aus einer Verschmelzung dieser beiden Realitäten, die verschieden, aber nicht gegensätzlich sind, durch tausend untereinander interagierende Verbindungen miteinander verbunden, kommt die bewusste Rebellion hervor.

Differenzierungselemente

Es gibt einige Parameter, die es erlauben, die ungeordnete von der bewussten Rebellion zu differenzieren. Das Kriterium der Unduldsamkeit ohne Ziel, des Bruchs ohne Motiv, genügt nicht, um deutlich zu unterscheiden.

Die ungeordnete Rebellion ist im Allgemeinen pessimistisch, sie betrachtet das Leben als etwas von geringem Wert und ist daher bereit, es aufs Spiel zu setzen. Das eigene Leben und das der anderen. Der Pessimismus ist immer ein Element, das dazu tendiert, die Aktion zu entwerten, der er jedenfalls geringe konstruktive Möglichkeiten beimisst. Daraus folgt, dass man zu allem möglichen bereit ist, solange man sich nur bewegt oder das Gefühl hat, sich zu bewegen. Der Optimismus hingegen ist tendenziell bewertend, er betrachtet das Leben als eine Erfahrung, die es wert ist, gemacht zu werden, bis auf den Grund. Er weicht nicht zurück vor der Möglichkeit, es aufs Spiel zu setzen, aber er tut es nicht blind. Er schätzt Möglichkeiten und Perspektiven ab. Bei alledem ist der Optimismus keine Philosophie von Spiessbürgern. Im Gegenteil, eben jene Klasse ist es, die oft – aus dem Innern der eigenen mikroskopischen Interessenswelt – gerne alles mit Feuer und Schwert verheeren würde, und eben sie ist das grausamste Werkzeug in den Händen der Repression.

Eine andere Charakteristik der ungeordneten Rebellion ist ihr Mangel an Liebe. Keine bestimmte Art von Liebe, sondern der Sinn selbst der Liebe, der ein gesamtheitliches Fundament hat. Die Unordnung ist immer Partialität, der Mangel an Zielen ist nicht nur ein Aspekt der moralischen Vernichtung des Individuums, sondern ist auch die Wiederbestätigung seiner Unfähigkeiten, und somit seiner Begrenzungen. Der Rebell, der ungeordnet bricht, hat einen Groll gegen alles und alle, er zieht sich in sich selbst zurück, weil er Angst hat. Sein Egoismus ist nicht eine neue Menschheit hervorbringend. Er versiegelt schlicht die verdorbensten Aspekte des Konservativismus derjenigen, die die Macht besitzen. Sicher lehnt der Rebell seine soziale Bedingung ab, oder akzeptiert er die aufgezwungenen Verhaltensweisen nicht, doch die seine ist immer eine Suche nach einem Herr, nach einem Übergeordneten. So sieht man, wie er nach einer Uniform, einem Motto, einem Symbol, einer Mode sucht. Ohne diese Uniformitäten ist er verloren. Er muss sich in den Dienst von etwas stellen. Der Rebell hingegen, der sich der eigenen Situation des Bruchs bewusst ist und die Beweggründe dazu ermittelt hat, ist auf der Suche nach einem gesamtheitlichen Verhältnis, nach einer vollständigen Miteinbeziehung mit der Realität und den Anderen. Sein Anders-Sein ist stets zur selben Zeit eine Zurückweisung der aufgezwungenen sowie der gesuchten Uniformität. Sein Egoismus ist eine Liebe zu sich als Individuum, als Pol einer Beziehung, welche die anderen miteinschliesst, ohne zu einem Prostituierungsprozess gegenüber dieser äusseren Entität gezwungen zu sein, die Gefahr läuft, uns zu konditionieren, auch nachdem wir sie zurückgewiesen haben. Diese Rebellion hat keine Grenzen. Sie nimmt sich präzise Ziele vor, doch nur, um sie erreichen und überwinden zu können. Man darf nicht den Fehler machen, solche Ziele als eine Begrenzung der Rebellion selbst zu betrachten. Oft verhüllt die scheinbare Unbegrenztheit einen Mangel an Inhalten, der sich in einem leeren äusseren Rebellismus und in einer realen Konformität ausdrückt.

Ein weiteres Präzisierungselement ist das Verhältnis zur Methode. Der Rebell bricht mit der Welt, negiert sie aber nicht. Wenn seine Rebellion ohne einen Sinn ist, so breitet sie sich überall aus, aber ohne eine eigene Überzeugung und eigene Inhalte, ohne das Konzept selbst von Beziehung mit einzubeziehen. Der ungeordnete Rebell negiert sich selbst in dem Moment, in dem er die Möglichkeit negiert, Beziehungen mit den anderen zu haben. Die seine ist nicht eine Kritik, sondern ist die Abplattung der Negierung. Das Modell, das von der geläufigen Verhaltensweise aufgezwungen wird, ist ihm unangenehm oder unzugänglich, und nun weist er die Gesamtheit der Verhaltensweisen zurück, während er ihren Wert abplattet. Die Freiheit ist eines der Ziele der wahren Rebellion, während sie in der generalisierten Abwesenheit von Werten, wie dies beim ungeordneten Rebell der Fall ist, in der Negierung der Freiheit der anderen oder im völligen Desinteresse gegenüber der Knechtschaft der anderen dahinschwindet. Ein Kämpfer für die Freiheit ist immer, notwendigerweise, ein Rebell, aber ein Rebell ist nicht immer ein Kämpfer für die Freiheit.

Ein letztes Element ist die Sensibilität für die Schönheit. Eine andere Qualität der Beziehungen bildet die grundlegende Charakteristik der bewussten Rebellion. Der Bruch mit der Konditionierung, die von den Spielregeln auferlegt wird, schlägt eine andere Perspektive, eine andere Schönheit des Lebens vor. Dies existiert leider nicht in der ausschliesslich negativen Unordnung, welche die Abstufungen abflacht und eine monotone Wiederholung des eigenen Abbilds produziert. Der Sinn des Anderen löst sich somit im Besonderen auf und dieses letztere, seinerseits, versinkt im Gleichförmigen. Sicher, in diesen letzten Jahren haben sich die kulturellen Inhalte verringert, die früher einen anderen Zugang zur rebellischen Schönheit gestatteten, dafür gab es eine quantitative Verbreiterung, die, auf die eine oder andere Weise, die Mündung in Richtung neuer Qualitätsperspektiven finden wird. Alles mit seinen Grenzen und seinen Möglichkeiten.