G. D. Stockmann

Die Gesellschaft will mich ersticken

2012

Auf dass die alte Welt zusammenbricht, mit ihrer Heuchelei, ihrer Moral, ihren Vorurteilen, welche die Luft verschmutzen und uns den Atem rauben.

Albert Libertad

Manchmal - leider viel zu selten - kann ich frei und offen sprechen. Darüber sprechen, was so lange in mir unterdrückt war, über meine Gefühle und das was ich wirklich will. Ich merke, dass etwas raus muss. In diesem Moment fühle ich mich getrennt von meinem Körper, meiner äußerlich Erscheinung. Meine Gedanken werden frei, gehen somit über meinen Körper hinaus und wollen nur noch aus diesem Käfig ausbrechen. Der Käfig ist mein Körper, weil mein Körper die Verbindung zur Gesellschaft darstellt. Mein Körper ist Teil der Gesellschaft, er ist der einzige Teil von mir, der für die Gesellschaft greifbar ist. Für die Gesellschaft ist mein Körper nur einer unter vielen. Er lässt jede Individualität hinter sich und nimmt seinen Platz in der Gesellschaft ein. Die Gesellschaft ist ein riesiges Monster aus Normen, Regeln und der Moral. Leere Geister, die zwischen Menschen Fäden spinnen und jeden auf seinen festgelegten Platz weisen. In der Gesellschaft hat jeder seine Rolle. Ich bin nicht ich selbst, sondern vielmehr ein Körper mit einer Funktion. Diese Funktion variiert mit meinem Geschlecht, meinem Aussehen, Alter und meinem Beruf - Abstraktionen, die mich tiefer und tiefer in den Rachen einer großen Masse stoßen. Abstraktionen, die ich akzeptieren muss, weil ich meine Rolle spielen muss. Mein Körper ist bloß ein Baustein von etwas Größerem, ich muss meine Individualität der Gesellschaft opfern. So ergeht es vielen, aber nur wenige haben den Mut, es in Frage zu stellen. Die Gesellschaft ist eine Ideologie, die von der Mehrheit akzeptiert wird und als solche unantastbar. Die Menschen sind so religiös wie eh und je, einst knieten sie vor Gott nieder, jetzt ist es die Gesellschaft und die Demokratie vor der sie niederknien.

Ich gehe durch die Straßen und sehe wie andere Individuen ihr Rolle spielen. Lebende Tote. Wir wandern durch eine Welt voller Illusionen und versuchen aufkommende Zweifel zu verdrängen. Ich kann darüber mit Menschen reden die mich umgeben, aber wenige sind mir dabei wirklich eine Hilfe. Die Mehrheit will mir helfen „mich selbst zu finden“, was so oft heißt, dass ich meinen Platz in der Gesellschaft finden soll. Diese Menschen wollen nicht das es mir gut geht, sie wollen, dass ich mich anpasse. Vielleicht helfen sie damit der Gesellschaft, aber mir sicher nicht. Die Kommunikation wird immer oberflächlicher. Wir reden nicht länger miteinander wir führen nur noch Small-Talk. Die Kommunikation zwischen zwei oder mehr kontrollierten Marionetten kann nicht frei und lebendig sein. Diese Art der Kommunikation trägt am meisten zur Gesellschaft bei.

Wenn ich, wie oben erwähnt, frei sprechen kann, wird mir bewusst, dass in diesem Moment mein wahres Ich zum Vorschein kommt. Bei diesen seltenen Gelegenheiten kann ich mir die heuchlerische Maske vom Gesicht reißen. Ich merke wie andere Menschen die mir nahe sind, sich, genau wie ich, in solchen Momenten selbst erkennen. Sie können die Person sein, die sie insgeheim sein wollen. Wir passen in kein soziales Schema mehr, wir werden zu Individuen. Nenne es Affinität, nenne es wie du willst. Es ist oft schwer, in einer Sprache die gesellschaftlich bedingt ist, die richtigen Worte zu finden. Dennoch können wir einander verstehen, weil wir in der gleichen beschissenen Welt leben und das selbe Verlangen nach Freiheit verspüren.

Auf jeden Fall geben mir diese Momente Mut, weil ich weiß, dass ich mit meinen Ängsten nicht alleine bin. Und, natürlich will ich mehr solche Momente erfahren, ich will, dass mein Leben nur aus solchen Momenten besteht. Ich will diesen Platz zum Atmen nicht nur gelegentlich, ich will dazu fähig sein mich zu entfalten und das Leben in vollen Zügen genießen. Die Gesellschaft ist mir - und jedem Menschen, der noch einen Funken Individualität besitzt, ein Dorn im Auge. Diese Momente, in denen wir sein können wie wir wollen, sind ein Anhaltspunkt, ein Anzeichen dafür, dass es in vielen von uns kocht, ein kleiner Vorgeschmack von dem was folgen wird. Denn all die Frustration des Alltags löst sich nicht einfach in Luft auf, sie sammelt sich an, baut Druck auf und tritt in Form einer alles zerstörenden Kraft zum Vorschein. Überall um uns herum explodiert es bereits, worauf warten wir noch?


Von der ÜbersetzterIn zugesendet.
Original auf Englisch, Originaltitel: "Society wants to smother me.", veröffentlicht in "My Own - Self-Ownership and Self-Creation against all Authority Number", Nr. 4, 15. Juli 2012.