#title Das geringere Übel #author Dominique Miséin #LISTtitle geringere Übel #SORTauthors Miséin, Dominique; #SORTtopics Das geringere Übel, Kohärenz, Kompromiss, Wahlen, #date Dezember 1999 #source Entnommen aus "Die Erstürmung des Horzonts", Nr.1, ohne Ort, November 2014, S. 55-58. #lang de #pubdate 2015-05-11T20:06:51 #notes Folgender Text erschien unter dem Pseudonym Dominique Misein in der italienischen Zeitschrift Diavolo in Corpo, Nr. 1 , Dezember 1999. Die deutsche Übersetzung wurde aus der Zeitschrift Zorn, einmalige Zeitschrift gegen Wahllüge und Politik, September 2013 übernommen und nochmal überarbeitet für "*Die Erstürmung des Horizonts*", Nr. 1, November 2014. Vor einigen Jahren forderte ein bekannter italienischer Journalist während der Wahlen seine Leser dazu auf, über ihren Schatten zu springen und ihre Pflicht als Bürger dadurch zu erfüllen, indem sie für die amtierende Regierungspartei stimmen sollten. Dem Journalisten war vollkommen bewusst, dass den Leuten dieser Partei der Gestank von Jahrzehnten institutioneller Verwesung anhaftete – Missbrauch von Macht, Korruption, schmutzige Geschäfte –, aber die einzige politische Alternative auf dem Markt, die Linke, schien noch ominöser zu sein. Es gab also keine andere Wahl, als „sich die Nase zuzuhalten“, und für die bereits an der Macht sitzenden Herrscher zu stimmen.
Zu diesem Zeitpunkt, auch wenn es viele Debatten rund um diese Sache gab, hatte jene Aufforderung einigen Erfolg und es könnte behauptet werden, dass in gewisser Weise dadurch der Sieg davon getragen wurde. Das ist nicht verwunderlich. Im Grunde argumentierte der Journalist mit dem am meisten verifizierten Reflex sozialer Konditionierung, jenem der Politik des geringeren Übels, welches die täglichen Entscheidungen der Mehrheit der Menschen bestimmt. Mit den Angelegenheiten des Lebens konfrontiert, ruft uns der gesunde Menschenverstand immer sehr schnell in Erinnerung, dass zwischen zwei gleich widerwärtigen Alternativen die wohl beste Wahl diejenige ist, die weniger unangenehme Konsequenzen für uns nach sich zu ziehen scheint. Wie könnten wir leugnen, dass unser gesamtes Leben auf eine lange und anstrengende Suche nach dem geringeren Übel reduziert ist? Wie könnten wir leugnen, dass dieses Konzept der Wahl des Guten – nicht in seiner absoluten Bedeutung verstanden, sondern als das, als was es in seiner einfachsten Form angesehen wird – im allgemeinen a priori zurückgewiesen wird?
All unsere Erfahrungen und jene von vorherigen Generationen lehren uns, dass die Kunst des Lebens die schwierigste ist und dass die leidenschaftlichsten Träume lediglich ein tragisches Ende haben können: wir sind Opfer des Weckers, ein Name im Abspann eines Films, oder auf der letzten Seite eines Buches. „Es ist immer so gewesen“ – wird uns mit einem Seufzer erklärt, und daraus ziehen wir den Schluss, dass es auch immer so sein wird.
Offensichtlich hält uns all das aber nicht davon ab, zu verstehen, wie gefährlich alles, dem wir uns stellen müssen, für uns ist. Obwohl wir wissen, wie man sich für ein Übel entscheidet. Was uns angeht – und das deswegen, weil es uns genommen wurde – ist nicht die Eigenschaft, die Welt um uns herum zu beurteilen, die Furcht davor drängt sich auf wie ein Schlag ins Gesicht, genauso wie die Fähigkeit, hinter die gegebenen Möglichkeiten zu blicken – oder lediglich nur den Versuch dies zu tun. Demzufolge bedeutet die ewige Entschuldigung, zu akzeptieren, dass man das Risiko eingeht, alles zu verlieren, wenn man mit dem nicht zufrieden ist, was man bereits hat, dass man dabei stehen bleibt, durch seine ganze Existenz mit der Fahne der Selbstverleugnung hindurch zu gehen. Unsere eigenen täglichen Leben mit ihren Indiskretionen zeigen uns zahllose Beispiele dafür auf. Mit aller Aufrichtigkeit; wie viele von uns können sich damit rühmen, ihr Leben in vollen Zügen zu leben, wer kann behaupten, mit seinem Leben zufrieden zu sein? Und wie viele können sagen, dass sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind, mit diesen zwecklosen Stunden, ohne Vergnügen und ohne Ende? Im Angesicht des Schreckgespenstes der Arbeitslosigkeit akzeptieren wir schnell ein entlohntes Elend, um ein Elend ohne Entlohnung zu vermeiden. Wie können wir die Tendenz, dass so viele ihre Studienzeit so lange wie möglich ausdehnen – eine weit verbreitete Charakteristik –, anders erklären, als einen Ausdruck der Verweigerung des Eintritts in eine erwachsene Welt, in der man das Ende einer ohnehin schon prekären Freiheit erblicken kann? Und was können wir über die Liebe sagen, über diese krampfhafte Suche nach jemanden, den man liebt, und von dem man auch geliebt wird, was üblicherweise in seiner eigenen Parodie endet, seitdem wir es vorziehen, das Gespenst der Einsamkeit zu vertreiben, um an dessen Stelle emotionale Beziehungen in die Länge zu ziehen, die bereits völlig ausgebrannt sind. Geizig mit Erstaunen und Bezauberung können uns unsere Tage auf dieser Erde lediglich die Langeweile der seriellen Wiederholung garantieren. Trotz all der zahllosen Versuche, die Verletzungen zu verstecken oder zu begrenzen, die durch das derzeitige soziale System bewirkt werden, können wir sie alle sehen. Wir wissen gut Bescheid darüber, wie es ist, in einer Welt zu leben, die uns schädigt. Um es aber erträglicher zu machen, – anders ausgedrückt: – akzeptabler zu machen, reicht es aus es, zu vergegenständlichen, es mit einer historischen Rechtfertigung versehen, ausgestattet mit einer unerbittlichen Logik, vor der das Bewusstsein eines Buchhalters lediglich kapitulieren könnte. Um die Abwesenheit des Lebens und den schändlichen Tausch dieses mit dem Überleben – der Stumpfsinn, der durch Verpflichtungen verlorenen Jahre, die erzwungene Selbstverleugnung von Liebe und Leidenschaft, das frühzeitige Altern der Sinne, die Erpressung der Arbeit, die Umweltzerstörung und die vielerlei Formen der Selbsterniedrigung – erträglicher zu machen, was besser ist, als die Situation zu realisieren, im Vergleich zu anderen Situationen von noch größerer Qual und Unterdrückung; was wäre also effektiver als es mit dem Schlimmsten zu vergleichen?
Selbstverständlich wäre es ein Fehler zu glauben, dass die Logik des geringeren Übels auf lediglich regulierende Aufgaben oder Hausarbeiten begrenzt wäre. Vor allem reguliert und verwaltet es die Gesamtheit des sozialen Lebens, worüber auch dieser Journalist Bescheid wusste. Tatsächlich wird jede Gesellschaft, die der Menschheit bekannt ist, als unvollkommen aufgefasst. Ohne jetzt auf irgendwelche konkreten Ideen Rücksicht zu nehmen, haben alle davon geträumt, in einer Welt zu Leben, die sich von derjenigen, in der sie leben, unterscheidet: eine mehr repräsentative Demokratie, eine Ökonomie freier von staatlicher Intervention, eine „föderalistische“ statt eine zentralisierte Macht, einer Nation ohne Fremde und so weiter – bis hin zu den extremsten Bestrebungen. Aber das Verlangen, seine Träume zu realisieren, führt einen dazu, zu handeln, denn nur die Tat ist im Stande, die Welt zu verändern und sie dem Traum ähnlich zu machen. Die Tat ertönt im Ohr wie der Lärm der Trompeten von Jericho. Kein Gebot mit einer raueren Wirksamkeit existiert, und für jeden, der es hört, erhebt sich das Bedürfnis, ohne Verzug oder Bedingungen zur Tat zu schreiten. Jedoch jeder, der zur Tat ruft, um die Bestrebungen zu realisieren, die ihn antreiben, wird schnell merkwürdige und unerwartete Erwiderungen erhalten. Der Neuling lernt in aller Hast, dass eine erfolgreiche Aktion jene ist, die sich darauf beschränkt, oberflächliche, bedrückende und traurige Träume zu realisieren. Nicht nur, dass die großen Utopien offensichtlich außerhalb der Reichweite liegen, sondern, dass selbst viel bescheidenere Objekte sich als kaum realisierbarer darstellen. Demnach wird jeder, der erwägt, die Welt nach seinem Traum zu transformieren, sich selbst in der Unfähigkeit wiederfinden, nichts anderes tun zu können, als seinen Traum selbst zu transformieren, um diesen der viel unmittelbareren Realität derWelt anzupassen. Mit dem Ziel, produktiv zu agieren, findet man sich genötigt, seinen Traum zu unterdrücken. Demnach ist die erste Aufgabe, welche die produktive Aktion all jenen abverlangt, die handeln, diejenige, ihren Traum auf die Verhältnisse zu reduzieren, die vom Existierenden angeboten werden. Auf diesem Wege kommt man zu einem Verständnis – mit wenigen Worten –, dass wir in einer Epoche des Kompromisses, der Halbheiten, der zugehaltenen Nasen leben. Um präziser zu sein, des geringeren Übels.
Wenn man es genauer betrachtet, macht es Sinn, dass das Konzept des Reformismus, eine Sache der sich heutzutage alle widmen, eine vollendeten Ausdruck der Politik des geringeren Übels darstellt: eine umsichtige Handlung, die dem wachsamen Auge der Mäßigung unterworfen ist, die nie ihre Zeichen der Akzeptanz aus dem Blickfeld verliert und fortfährt mit der angemessenen Vorsicht der perfektesten Diplomatie. Beschäftigt man sich mit Ausweichreaktion, ist es so, dass wenn ein ungünstiger Umstand als unvermeidlich angesehen wird, man sich beeilt, ihn zu legitimieren, indem aufgezeigt wird, wie ein größeres Unheil dadurch vermieden würde. Haben wir letzten Sommer nicht einen Krieg erlebt, der als geringeres Übel bezeichnet wurde, im Vergleich zu den grausamen „ethnischen Säuberungen“, genauso wie vor fünfzig Jahren der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki als geringeres Übel gegenüber der Fortsetzung des Weltkrieges legitimiert wurde? Und das trotz der Behauptung einer jeden Regierung auf diesem Planeten, den Einsatz von Gewalt bei der Lösung von Konflikten zu verabscheuen.
Allerdings. Sogar die herrschende Klasse erkennt die Grundlage der Kritik an, die mit Rücksicht auf die aktuelle soziale Ordnung formuliert wird, für die sie andererseits auch verantwortlich ist. Manchmal findet man sogar einige ihrer Sprecher in der ersten Reihe, wenn sie die Diskriminierungen durch die Gesetze des Marktes, des Totalitarismus der „Pensée unique”, oder des Missbrauchs des Liberalismus, formell anprangern. Selbst für diese Realität ist all dies ein Übel. Jedoch ist es ein unvermeidliches Übel, und das einzige was man tun kann, ist, die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Das Übel, von dem wir nicht befreit werden können – was klar sein sollte –, ist eine soziale Ordnung, die profitorientiert ist, auf Geld, auf Waren, auf die Reduktion des Menschen als eine Sache, auf Macht bezogen – und das ist für den Staat ein unverzichtbares Werkzeug, um Zwang auszuüben. Erst nachdem die Existenz des Kapitalismus mit all seinen Begleiterscheinungen außer Frage gestellt wurde, fragen sich die politischen Attachés, welche kapitalistische Form das kleinere Übel darstellt – und damit unterstützenswert ist. Heutzutage wird der Demokratie der Vorzug gewährt, der Demokratie, die – nicht unbeabsichtigt – als das „am wenigsten schlechte der bekannten politischen Systeme“ dargestellt wird. Verglichen mit dem Faschismus und Stalinismus erhält sie leicht die Unterstützung des westlichen gesunden Menschenverstandes, um so mehr, da die demokratische Lüge auf der (illusorischen) Beteiligung der Untertanen an der Verwaltung der Öffentlichkeit beruht, was sie daher vervollkommnungsfähig erscheinen lässt. So sind die Menschen einfach davon zu überzeugen, dass eine „gerechtere“ Staatsführung, „eine bessere Verteilung des Reichtums“, oder eine eher „nachhaltige Nutzung von Ressourcen“ die einzigen Möglichkeiten darstellen, die in der Auseinandersetzung mit den Problemen der modernen Zivilisation zur Verfügung stehen. Jedoch wird in dieser Annahme ein grundlegendes Detail weggelassen. Und zwar das Verständnis von dem, was die verschiedenen vorangetriebenen Alternativen im Grunde genommen vereinigt: die Existenz des Gelds, des Warentausches, der Klassen, der Macht. Dabei wird vergessen wird, dass ein Übel zu wählen, selbst wenn es ein geringeres Übel ist, bedeutet, dieses Übel zu verlängern. Um die Beispiele oben noch einmal zu verwenden – ein „gerechterer“ Staat beschließt, ein ganzes Land zu bombardieren, um einen „schlimmeren“ Staat davon zu überzeugen, dass dieser mit den ethnischen Säuberungsoperationen innerhalb seiner eigenen Grenzen aufzuhören hat. Es gibt keinen Grund, die hier bestehenden Unterschiede abstreiten zu wollen, aber wir nehmen es nur aufgrund der Abneigung wahr, die in dieser Situation eine Staatslogik fördert, die dazu fähig ist, mit dem Leben von Tausenden von Menschen zu spielen, sie abschlachtet und bombardiert. Auf ähnliche Weise versucht eine „bessere Verteilung des Reichtums“ zu vermeiden, die Früchte der Arbeit von den üblicherweise vielen, in den Händen der üblicherweise wenigen zu konzentrieren. Aber was bedeutet das? In aller Kürze würde es bedeuten, dass das Messer, mit dem die Herren über die Erde den Kuchen teilen, der den Reichtum der Welt bedeutet, sich verändern würde, und vielleicht würden sie einen weiteren Platz am Tisch der fröhlichen Gäste herrichten. Der Rest der Menschheit würde sich weiterhin mit den Krümeln zufrieden geben müssen. Würde es schließlich irgendwer wagen, zu leugnen, dass die Ausnutzung der Natur unzählige Umweltkatastrophen verursacht hat. Es ist nicht nötig, Experten in dieser Angelegenheit zu sein, um zu verstehen, dass diese Ausnutzung „besonnener“ zu machen, nicht dazu dient, weitere Katastrophen zu verhindern, sondern einzig darum, sie selbst „besonnener“ zu machen. Aber existiert eine „besonnene“ Umweltkatastrophe? Und innerhalb welcher Bestimmungsgrößen kann diese ermessen werden?
Ein kleiner Krieg ist besser als ein großer Krieg, Milliardär zu sein ist besser als Millionär zu sein, begrenzte Katastrophen sind besser als unkontrollierte Katastrophen. Wie können wir nicht sehen, dass entlang dieses Weges die sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen, die den Ausbruch des Kriegs, die Ansammlung des Privilegs und das kontinuierliche Auftreten von Katastrophen ermöglichen, sich wohl weiterhin endlos fortsetzen werden? Wie können wir nicht sehen, dass diese Politik nicht einmal eine minimale praktische Nützlichkeit anbietet, sodass wenn der Eimer bis zum Rande voll ist, nur ein Tropfen reicht, um ihn zum überlaufen zu bringen? Von dem Moment an, an dem wir darauf verzichten, den Kapitalismus als Gesamtheit, die all den Varianten politischer Reglementierung gemeinsam ist, in Frage zu stellen, und stattdessen mit dem bloßen Vergleich zwischen verschiedenen Techniken der Ausbeutung Vorlieb zu nehmen, ist die Fortdauer des „Übels“ garantiert... Anstatt sich zu fragen, ob man einem Herren gehorchen will, zieht man es vor, denjenigen Herren zu wählen, der einen am wenigsten schlägt. Auf diese Art und Weise wird jeder Wutausbruch, jede Spannung, jede Begierde für die Freiheit zugunsten einer zahmeren Entscheidung zurück geschraubt; anstatt die Übel, die uns vergiften, anzugreifen, machen wir die Exzesse des Systems dafür verantwortlich.
Innerhalb dieses Kontextes bedeutet das: je größer die Virulenz ist, mit der diese Exzesse angeprangert werden, desto stärker ist das soziale System verfestigt, das diese eigentlich produziert.
Die Seuche kommt dieser ideologischen Tünche noch einmal bedrohlich nahe, ohne einen Weg der Flucht zu lassen. Und, solange die zu lösende Frage jene ist, wie man Vorherrschaft verwalten kann, anstatt die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, sie loszuwerden und zu begreifen, wie dies zu bewerkstelligen wäre, wird es weitergehen, dass die Logik derer, die uns beherrschen und verwalten, uns die zu ergreifenden Maßnahmen diktiert, und das in allen Belangen.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Mit jeder Drehung der Schraube wird uns versichert, dass das erhaltene Ergebnis nicht schlechter als das vorherige sein kann, dass die immer in Richtung Fortschritt orientierte Politik den Pfad der konservativeren Politik blockiert, dass, nachdem wir so viele Nöte in Stille erlitten haben, wir jetzt endlich auf dem richtigen Wege sind. Von geringerem Übel zu geringerem Übel treiben uns die unzähligen Reformisten, die diese Gesellschaft überrollen, von Krieg zu Krieg, von Katastrophe zu Katastrophe, von einem Opfergang zum nächsten. Und weil man diese beschämende Logik von unbedeutender (Änderung der) Rechnungslegung und dem Gehorsam dem Staat gegenüber dadurch akzeptiert, indem man unter Prügeln Berechnungen anstellt, um zwischen zwei Übeln abzuwägen, könnte ein Tag kommen, an dem man sein eigenes Leben als Maßstab verwendet: besser in diesem Augenblick krepieren, als fortzufahren, auf dieser Erde dahinzusiechen. Es muss dieser Gedanke sein, der die Waffe in der Hand des Selbstmordes platziert. Denn wenn man sich die Nase zuhält, um für die Macht zu stimmen, wird man am Ende keine Luft mehr haben, um zu atmen. Wie wir gesehen haben, stellt es nicht all zu große Schwierigkeiten dar, innerhalb des Kontextes des geringeren Übels zu verbleiben; die Schwierigkeit beginnt erst in dem Augenblick, wenn man diesen Kontext verlässt, in jenem Augenblick, wenn man ihn zerstört. Alles, was man zu tun hat, ist zu behaupten, dass das Schlimmste, was jemand machen kann, ist, zwischen zwei Übeln keines der beiden zu wählen, und schon ist es soweit: das Klopfen der Polizei an der Tür. Wenn man der Feind einer jeden Partei, jedes Krieges, jedes Kapitalisten, aller Ausbeutung der Natur ist, kann man in den Augen der Autoritäten nur verdächtig wirken. In Wirklichkeit ist es hier, wo die Subversion beginnt. Das Verweigern der Politik des geringeren Übels, die Verweigerung dieses sozial anerzogenen Instinktes, der einen verleitet, seine Existenz eher zu bewahren, als sie auszuleben, bringt einen zwangsläufig dazu, alles, was von der wirklichen Welt und ihrer „Notwendigkeit“ der Bedeutung entleert wurde, wieder in Betracht zu ziehen. Nicht jedoch, dass die Utopie frei vom geringeren Übel wäre – das kann nicht garantiert werden. Während revolutionärer Perioden war es genau diese Logik, die den Angriff der Aufständischen beendete: wenn der Sturm wütet und die Wogen drohen, alles hinweg zu fegen, gibt es immer einen realistischeren Revolutionär, der darauf drängt, den Zorn des Volkes in angemessenere Forderungen umzuleiten. Trotz allem fürchtet sogar jemand, der die Welt auf den Kopf stellen will, alles zu verlieren. Auch wenn von alledem nichts wirklich ihm selbst gehört.